Ausstellung "Seltsam und Ruhig": Leere Bühnen eines abgelebten Stückes
Auf seinen Landschaftsfotos interessiert sich der Filmemacher Wim Wenders besonders für leere Orte, die das Ergebnis von etwas bereits Geschehenem sind.
HAMBURG taz | Ein traurig verrottetes Riesenrad in den grünen Weiten eines offenen Tales: In die Landschaft scheint es weder im derzeitig tristen, noch im einst quietschbunten Zustand zu passen. Dieses Bild zeigt einen jener Orte, die der Ausstellungstitel zu Recht „Seltsam und Ruhig“ nennt. Oder zumindest fast ruhig, denn im Wind quietschte die alte Eisenkonstruktion leise, wie der poetische Begleittext ausführt.
Auch wenn die Großfotos von Wim Wenders sonst immer für sich stehen: Ausnahmsweise und nur bei diesem 2008 aufgenommenen Bild aus Armenien zeigt der „Gegenschuss“, dass auf der anderen Seite des rudimentären Rades durchaus mal Kundschaft war: Dort stehen, von ihren einstigen Bewohnern verlassen, Wohnblocks der 1991 abgezogenen sowjetischen Besatzer.
Wie dieser verlassene Ort verströmen auch die meisten der anderen 60 Fotos dieser Ausstellung eine tiefe Melancholie. Zwar sagt der berühmte deutsche Filmemacher, er wolle in seinen Fotos die Orte zum Sprechen bringen. Doch es sind meist sehr leere Orte, die ihn angezogen haben. Im Film ist der Ort Folie des Geschehens, das an ihm stattfindet. In diesen Fotos aber wird die Bühne zur Handlung. Nicht was durch den Ort bewirkt wird oder von ihm ausgeht, ist entscheidend, sondern das, was vorher war: Wichtig wird, was dazu führte, dass es hier so seltsam aussieht. Die Orte öffnen also keine neuen Möglichkeiten mehr, sie sind bereits – oft wenig ersprießliche – Ergebnisse. Eben dieses „Scheitern“ macht sie so melancholisch.
Es ist vorstellbar, diese leeren Bühnen eines abgelebten Stückes wieder zu aktivieren. Was da passieren könnte, wäre aber immer etwas anderes, als das Verlorene, was jenen Ort einst prägte. So ist in der Intensität, mit der Wenders diesen Orten nachspürt, eine grundsätzliche, unüberwindbare Entfremdung eingebaut. Das zeigt sich ganz direkt in immer wieder abgebildeten Mauern, die scheinbar grundlos einen Zugang versperren.
Auch in den beigeschriebenen Texten drückt Wenders seine Distanz aus: Er spricht von einem möglichen „Paralleluniversum“ oder davon, eine Situation habe ihn dazu veranlasst, lange auf irgendeine Erklärung zu warten. Doch es sei keine gekommen.
Verstreute Buchstaben-Skulpturen in einer Gebirgslandschaft und öde Hinterhöfe in Tokyo oder Berlin, ein leeres Freiluftkino unter Palmen und ein Friedhof zwischen Hochhäusern: Damit die Betrachter Anhaltspunkte für einen Zugang in diese Bildwelten haben, ist nun in Hamburg diese erstmals vor zwei Jahren in São Paulo gezeigte Zusammenstellung neben den Großbildern auch mit kurzen Texten versehen. Das betont das Anliegen der Bild-Erzählung, die einem Regisseur und Hamburger Kunsthochschulprofessor selbstverständlich wichtig ist.
Denn auch wenn Wim Wenders sein filmisches und sein fotografisches Werk in Konzeption und technischer Durchführung strikt trennt: Es bleiben Gemeinsamkeiten in Bildverständnis und Herangehensweise. Nicht nur, wenn ein Motiv inszenatorisch umgeräumt wird: An einer Straßenecke in Butte, Montana, entfernte er neuere Müllbehälter und anderes Stadtmobiliar, damit das Bild stärker zu einer Hommage an den Maler Edward Hopper werden konnte.
Sonst lässt Wenders eher den Zufall wirken, um seine besonderen Bilder zu finden: An fernen Orten verläuft er sich gern absichtlich. So entstehen die Fotos im Alleingang auf einsamen Wegen, trotz aufwändiger Ausrüstung eben nicht mit Team, wie es beim Film wäre. Der stille Dialog mit den Orten erfolgt ganz altmodisch-analog aus der Hand und auf Rollfilm: Verwendet werden große Balgenkameras im Format 6 x 7 oder 6 x 9 und eine Panoramakamera 6 x 17.
Wim Wenders, dessen Fotoleidenschaft 1983 mit der Motivsuche in den USA für den Film „Paris, Texas“ entstand, sieht sich als Bilderfischer, nicht als Bilderfinder. Gegenüber den frei komponierenden, digital arbeitenden Kollegen betont er die wahre Wirklichkeit eines Ortes. Gewissermaßen ein „Dolmetscher“ eines Ortes, muss er nicht schon im Moment der Aufnahme in digitaler Kontrolle das fertige Bild bestimmen, sondern kann sich auf den Prozess des Schauens konzentrieren. So bleibt das, was er gesehen hat, unmanipuliert als einmaliger physikalischer Akt auf einem Film eingebrannt.
Diese Art von Objekthaftigkeit ist Wenders besonders wichtig. Da hat es ihn kaum erstaunt, dass sich auf den Bildern aus dem Fukushima-Distrikt sogar die sonst unsichtbare Strahlung auf dem Film manifestierte.
Bei aller Liebe zu leeren Orten: Gelegentlich treten in dieser Fotografie auch Menschen auf. Doch sie bestimmen nicht den Ort, sondern der Ort sie. Sie sind nicht Akteure, sondern Staffage: ob am Rande eines Vulkans, vor der Attrappe eines Schlachtschiffs oder in anderen dubiosen Vergnügungsparks. Wim Wenders verweigert das Einverständnis mit seinen Motiven, er belässt sie in ihrer Andersartigkeit. Sein sehr distanzierter Blick scheint, auch mit 67 Jahren und nach unzähligen Ehrungen immer noch leicht verwundert, aus einer Außenseiterposition zu kommen.
So notiert Wenders etwa zur Rückenansicht eines Rodeo-Clowns: „Es ist höchst erstaunlich wie viele Ideen von ’Spaß‘ es auf der Welt so gibt.“ Wohl wahr. Will man sich von solchen fremdartigen Bespaßungen nicht anregen oder gar anstecken lassen, bleibt eben nur noch der distanziert romantische, melancholische Blick auf die Panoramabilder der Küstenlandschaften im Abendlicht.
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