Aussteigerin über Neonazis: "Verbot würde nicht viel bewirken"
Sabine Münch war mehrere Jahre in der Berliner Kameradschaftsszene aktiv. Mehr als zwei davon war sie Mitglied der "Kameradschaft Tor" und erlebte dabei das Verbotsverfahren des Innenministers.
taz: Frau Münch, können Sie uns kurz sagen, was hat Sie in die Neonaziszene verschlagen, wie lange waren Sie dabei und was war ausschlaggebend für Ihren Ausstieg?
Sabine Münch*: Erste Kontakte hatte ich mit 14 Jahren: Diese waren mehr zufällig und weniger aus politischer Überzeugung, dahinter stand eine etwas diffuse Antihaltung. Mit Ende 18 lernte ich dann aktive Neonazis kennen, die aus dem Spektrum der "Autonomen Nationalisten" kamen. Dabei entstanden Freundschaften, ich fing an, mich mit politischen Theorien auseinanderzusetzen. Mich beeindruckte deren modernes Auftreten, und ich hatte den Eindruck, mich dort entfalten zu können und in keiner Weise eingeschränkt zu werden. Natürlich gab es Dinge, die ich so auch wiedergeben konnte, wie ich sie aufschnappte. Aber es gab einige Sachen, die mir negativ aufgefallen sind. So zum Beispiel, anderen Menschen das Recht auf Leben absprechen zu wollen. Ich begann mich nach und nach damit auseinanderzusetzen, wofür ich dort überhaupt gekämpft habe.
Während Ihrer Zeit in der Kameradschaft Tor wurde diese durch den Innenminister verboten. Wie ging die Gruppe mit dem Verbot um?
Im Grunde hat sich nichts geändert. Klar, am Anfang waren alle etwas nervös und verunsichert, aber das hielt nur einige Wochen an. Es haben sich recht schnell andere Möglichkeiten gefunden, sich zu betätigen und anonym miteinander zu kommunizieren. Schnell wurde klar, wie unwichtig der Name einer Gruppe ist. Wir verwendeten einfach Synonyme oder machten viele Sachen, ohne einen Namen zu nennen. Mit der Zeit wurde allen klar, dass das ohnehin viel einfacher und effektiver war - weil schwieriger zu überwachen und noch schwerer zu zerschlagen.
Wie stehen Sie zu einem Verbot der NPD?
Ein Verbot der NPD würde nicht viel bewirken. Die staatliche Finanzierung würde wegfallen, das wäre aber auch das einzige Argument für ein Verbot. Verbote sind immer dann gut, wenn der Staat zeigen will "Wir tun etwas". Danach passiert dann höchstwahrscheinlich nicht mehr viel. Nach dem Motto "Die NPD ist verboten, die Pflicht ist getan, und wir fühlen uns alle besser". Was aber in den Strukturen an sich ab- und weiterläuft, wird dann kaum noch beachtet werden. Zudem ist nur ein kleiner Teil der politisch aktiven Neonazis in die NPD eingebunden.
Wie könnte Neonazigruppen und der NPD effektiv begegnet werden?
Hier muss differenziert werden: Welche Personengruppe ist dort gemeint? Geht es um Protestverhalten oder Identitätsfindung? Ein Zulauf im Zuge einer pubertären Findungsphase ist wohl eher schwer zu verhindern. Durch das moderne Auftreten wirken Neonazis sehr attraktiv auf Jugendliche. Sie können dort ihren Protest und ihre Rebellion gegen Familie, Gesellschaft, Schule und so weiter ausleben. Selten geht es dort um politische Theorien, diese werden eher oberflächlich angerissen.
Das heißt, nur gesamtgesellschaftliches Handeln kann Teil der Lösung sein?
Man muss an der Basis ansetzen, wenn man verhindern will, dass Jugendliche in Neonazigruppen oder -kreise aufgenommen werden wollen, nur um "dagegen" zu sein. Das setzt natürlich auch frühzeitige, sensible und nicht übersättigende Bildungsangebote voraus. Zudem müssten Kinder viel früher lernen, wie wichtig es ist, mitwirken zu können oder in Prozesse eingebunden zu sein. Meist werden sie aber schon in der Schule der Autorität einzelner Lehrerinnen oder Lehrer unterworfen. So kann eine Wertschätzung demokratischer Verhältnisse kaum entstehen, die Unterwerfung wird leichter vollzogen. Eine Auseinandersetzung mit Autoritäten und Inhalten findet nicht statt.
FRAGEN: MAIK BAUMGÄRTNER
*Der Name wurde auf Wunsch der Gesprächspartnerin geändert
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