: Außerirdische Volksvertreter
■ Schinkelfest: Eine Politikerdiskussion um Mietwohnungen gerät zur Farce / „Wir sind das doofe Volk“
Der Schinkelplatz in Winterhude ist von rot-weißen Girlanden umspannt. „Stop Umwandlung“ steht auf den Wimpeln, die über den Köpfen der Festbesucher im Wind wehen. Vielen Gästen droht die Umwandlung ihrer Mietwohnungen in das Eigentum von Spekulanten oder Käufern, die vielleicht selbst dort einziehen wollen. Das Fest ist eine Demonstration des Widerstands gegen den Verlust der eigenen vier Wände.
Info-Stände sind aufgebaut, eine Band spielt, es gibt Bratwürste und vegetarisch-biologische Naturkost. Viele Mieter kennen sich, weil sie sich schon auf unzähligen Versammlungen getroffen haben. Die neuesten Erlebnisse mit Vermietern werden ausgetauscht. Die Stimmung ist freundschaftlich.
Da hinein platzen Politiker von fünf Parteien. Die vier Herren und eine Dame sind zur Diskussion geladen und landen auf dem Schinkelplatz wie Außerirdische: „Auch Eigentum löst das Wohnungsproblem“, konstatiert etwa Andreas Mattner von der CDU.
Der Abstand zum Publikum wächst ins Unermeßliche. Einige Menschen nehmen kein Blatt vor den Mund. Sie schreien ihren Unmut angesichts platter Politikeräußerungen (“Kein Wohnungseigentum verstößt gegen das Grundgesetz“, Wilhelm Rahlfs, FDP) heraus: „Wir sind das doofe Volk.“ Die Bürgervertreter sind peinlich berührt, niemand antwortet. Es entsteht ein Tumult. Ein angetrunkener Mann stürmt auf Markus Wegner von der STATT Partei los. Der versucht verschreckt, sich in Sicherheit zu bringen.
Nach zwei Minuten ist wieder Ruhe. Auf dem Podium wird weiter geredet wie zuvor. „Es gibt in Hamburg noch zu wenig Eigentumswohnungen“, sagt FDP-Rahlfs. Krista Sager fordert für die GAL eine verstärkte Förderung von Wohnungsgenossenschaften. NDR-Moderator Ortwin Loewa läßt widerwillig das Publikum Fragen stellen, ohne von den Politikern Antworten einzufordern. Hinterher beschwert er sich beleidigt, daß ihm sein Konzept kaputt gemacht worden sei.
Frech sind nur die Kinder. Sie bewerfen die Politiker vom benachbarten Spielplatz aus mit Vogelbeeren. Doch selbst da zeigen die Profis keine Regung. tos
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
