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Außer Kontrolle

■ Verfassungsschutz verwendet unkontrolliert Abhörprotokolle / Datenschützer fordert Gesetzesänderung

Die Kenntnisse der Alliierten, die sie über Jahrzehnte beim Abhören von Tausenden Westberliner Telefonanschlüssen und anderen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten gewonnen haben, werden weiterhin vom Landesamt für Verfassungsschutz verwendet und auch an andere Landesbehörden wie Bundesbehörden weitergegeben. Im Gegensatz zu den Daten über Personen, die das Amt durch eigene Beobachtungen und Auswertungen gewonnen hat, entziehen sich diese Erkenntnisse jedoch jeglicher Kontrolle.

Der Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka kritisierte gestern im Verfassungsschutzausschuß, daß er, wie auch die aus Innensenator, CDU und SPD gebildete „G-10-Kommission“, weder diese Datensammlungen einsehen können noch erfahren dürfen, an wen diese Daten weitergegeben worden sind und weitergegeben werden. Bei Einsichtnahmen von Betroffenen in ihre Akten beim Verfassungsschutz seien die Blätter – in der Regel Abhörprotokolle von Telefonaten – geschwärzt oder herausgenommen, berichtete Garstka.

Bis zur Wiedervereinigung im Oktober 1990 durften im Gegensatz zur Bundesrepublik die Verfassungsschützer in Berlin keine Grundrechte außer Kraft setzen. Alle Abhörmaßnahmen – auch die jahrzehntelange Überwachung der Linken – lagen hier in der Kompetenz der Alliierten.

Im Zuge der Vereinigung waren die dabei gewonnenen Daten an das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz übergeben worden, eine alliierte Anordnung von 1982 untersagt aber eine Kontrolle der Unterlagen durch Berliner Behörden wie die Innenverwaltung oder den Datenschutzbeauftragten. Nach Garstkas Einschätzung greifen die Erkenntnisse der Alliierten „äußerst intensiv in die Persönlichkeitsrechte ein“. Daß es keine externe Kontrolle gebe, sei verfassungsrechtlich bedenklich. Das Berliner Verfassungsschutzgesetz sollte deshalb entsprechend geändert werden. Mindestens müsse der G-10-Kommission, die inzwischen in jedem Einzelfall darüber entscheidet, ob heutzutage ein Telefon abgehört werden darf, das Recht auf Einsichtnahme eingeräumt werden.

Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) hielt dagegen Gesetzesänderungen auf Landesebene für irrelevant. Es müßten Bundesgesetze geändert werden, der 2+4- Vertrag sei eindeutig. Der Bundesinnenminister habe die Rechtsauffassung der Innenverwaltung ausdrücklich bestätigt. Die einzelnen Mitglieder des Verfassungsschutzausschusses waren nach Heckelmanns Ausführungen sichtlich verwirrt.

Sowohl Datenschutzbeauftragter wie auch Senator hatten diverse Gesetze zitiert, und keine der fünf vertretenen Fraktionen wußte, wem sie glauben sollte. Andreas Gram (CDU): „Mir fehlt der Durchblick.“ Der Ausschuß hat Heckelmann deshalb beauftragt, einen schriftlichen Bericht zu liefern. Dirk Wildt

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