Ausschreitungen in Italien: Soldaten werden Müllmännner
Italien versucht den Müllnotstand in Neapel zu beseitigen: Polizisten prügeln sich mit Demonstranten und Regierungschef Romano Prodi verspricht eine "radikale Lösung".
Seit Tagen tobt nun schon der Kampf zwischen den Anwohnern von Pianura am Stadtrand von Neapel und der Polizei. Die Beamten sollen die Wiedereröffnung der dortigen Mülldeponie sicherstellen, von der die Bürger ihrerseits nichts wissen wollen. Mehr als 40 Jahre lang war Pianura die größte Müllkippe Neapels, und neben der offiziellen Deponie wurden tonnenweise illegal auch hochgiftige Sonderabfälle vergraben.
Als dann 1996 die Deponie Pianura geschlossen wurde, hieß es, diese Schließung sei "endgültig", stattdessen solle dort ein Golfplatz geschaffen werden. Statt der nie angelegten Greens gibt es jetzt aber wieder Müll - und ein neues Versprechen. Diesmal sagen die Behörden zu, sie wollten endlich die illegalen Müllplätze in Pianura sanieren.
Doch die Anwohner trauen dem Staat nicht; sie haben ihr Viertel völlig blockiert, sie sperren Autobahnen und Eisenbahnstrecken. Bei heftigen Zusammenstößen mit der Polizei flogen am Dienstag Steine und Molotowcocktails. Erneut wurde ein Autobus in Brand gesteckt. Auch Feuerwehrleute und TV-Kameramänner wurden attackiert. Die Regierung aber bleibt hart - Pianura soll geöffnet werden, um endlich die mehr als 100.000 Tonnen Unrat abfahren zu können, die sich in Neapel und der Region angesammelt haben. Seit dem 21. Dezember wird der Abfall nicht abgefahren.
Ministerpräsident Romano Prodi selbst ordnete schon für Montag den Einsatz der Armee an. Zunächst rückten Pioniereinheiten aus, um wenigstens die Bürgersteige unmittelbar vor den Schulen frei zu räumen. Nur so konnte der reguläre Unterrichtsbeginn nach den Weihnachtsferien gesichert werden, nachdem viele Bürgermeister der Region schon einen Stopp für die Schulen verhängt hatten.
Dies soll aber nur der erste Akt der von Prodi versprochenen Wende sein. Der Ministerpräsident selbst sprach von dem verheerenden Imageschaden, den Italien von den regelmäßig wiederkehrenden Katastrophenbildern davonträgt - die letzte Müllkrise gab es erst vor acht Monaten. Doch für die Regierung geht es um mehr.
Schon erklärte EU-Umweltkommissar Stavros Dimas, Italien drohe die Eröffnung eines Verfahrens wegen des allzu offensichtlichen Verstoßes gegen elementare europäische Normen. Und dem Prodi-Lager droht zugleich die Bestrafung durch die Wähler: Seit 1994 wird die Stadt Neapel, seit 2000 die Region Kampanien durch die Mitte-links-Parteien regiert, die sich auf regionaler Ebene völlig unfähig zu einer Lösung des Dauerproblems zeigten.
Darf man dem Regierungschef glauben, dann soll diesmal nicht bloß ebenso eilig wie notdürftig der Dreck von den Straßen geräumt, sondern eine dauerhafte Lösung durchgesetzt werden - "in drastischer Manier", wie Regierungssprecher Silvio Sircana versprach.
Erster Punkt des von Prodi am Dienstag verkündeten Programms ist die Erschließung weiterer Deponien, nicht nur in Kampanien, sondern auch in benachbarten Regionen. Binnen zehn Tagen soll zudem sämtlicher Müll von den Straßen weggeräumt sein; erneut soll dabei das Heer zum Einsatz kommen. Außerdem soll die fast fertig gestellte Müllverbrennungsanlage in Acerra bei Neapel so schnell wie möglich in Betrieb genommen werden. Und zugleich will die Regierung den Bau zweier weiterer Verbrennungsanlagen in der Region vorantreiben. Verzichten will die Regierung dagegen künftig auf den Einsatz von Müll-Sonderzügen zu deutschen Verbrennungsanlagen: Diese Lösung gilt als zu kostspielig.
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