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Archiv-Artikel

DER ÄRZTESTREIK IST BERECHTIGT – ABER NICHT WEGEN DES LOHNS Ausschlafen, ohne reich zu werden

Der Frust unter den Klinikärzten hat nun ein Symbol: 98,4 Prozent wollen streiken, um eine gigantische Lohnerhöhung von 30 Prozent durchzusetzen. Es ist immer legitim, Verhandlungen mit Maximalpositionen zu starten. Dennoch werden sich die Mediziner nicht durchsetzen. Sie scheinen in einem Paralleluniversum zu leben, in dem die Realität der restlichen Beschäftigten einfach ignoriert wird.

Die normalen Arbeitnehmer mussten nämlich im letzten Jahr hinnehmen, dass ihre Bruttolöhne durchschnittlich nur um 0,4 Prozent stiegen, wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat. Diese Nullrunde schlägt auch auf den Etat der Krankenkassen durch, weil sich die Beiträge nach den Bruttolöhnen richten. Es ist geradezu grotesk, dass die Klinikärzte ernsthaft annehmen, ihr Verdienst könnte um 30 Prozent steigen, während ihre Arbeitgeber – die Patienten – noch nicht einmal die Inflation ausgleichen können.

Dennoch sind die Beschwerden der jungen Klinikärzte berechtigt. Denn sie leisten zu viele unbezahlte Überstunden, an denen niemand ein Interesse haben kann. Auch für die Patienten wäre es beruhigend, zu wissen, dass sie von einem ausgeschlafenen Arzt operiert werden. Doch protestieren die Klinikärzte seltsam leise, wenn es um ihre Arbeitszeiten geht – sie und ihre Verbandsvertreter scheinen vor allem eine reale Lohnerhöhung anzustreben.

Jede Tarifverhandlung endet mit einem Kompromiss. Wenn die Länder Zugeständnisse machen müssen, dann aber bitte nur bei der Arbeitszeit der Assistenzärzte. Ansonsten sollten die Mediziner diskutieren, wie sie innerhalb ihrer Lobbygruppe umverteilen. Es muss nicht sein, dass manche Chefärzte so viel verdienen wie 30 ihrer Assistenten. Und es kann auch nicht sein, dass die Ärzte wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ständig mehr Geld ins Gesundheitssystem gepumpt wird, nur weil sie so schön klagen können. Die Patienten zahlen längst genug, an Apotheker und die Pharmaindustrie, aber eben auch an die Ärzte. Deutschland liegt weltweit an dritter Stelle bei den Gesundheitsausgaben. Das muss reichen.

ULRIKE HERRMANN