: Ausnahmezustand in Usbekistan
■ Die Grenze zu Kirgisien mußte geschlossen werden / Bisher mindestens 78 Tote / Zahl der Opfer liegt „mit Sicherheit“ viel höher In Kirgisiens Hauptstadt Frunse demonstrierten 7.000 Anhänger der erstarkenden Demokratiebewegung gegen die Gewalt
Moskau (dpa/taz) - „Wie eine richtige Staatsgrenze abgesperrt“ ist seit der Nacht zum Freitag die Grenze zwischen den beiden Sowjetrepubliken Usbekistan und Kirgisien. Nachdem es auch in Usbekistan zu nationalistisch motivierten Auseinandersetzungen zwischen Kirgisen und Usbeken gekommen ist, haben Truppen des sowjetischen Innenministeriums die Grenze gesperrt und gleichzeitig in der usbekischen Gebietshauptstadt Andischan und in zehn weiteren grenznahen Bezirken eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.
Der sowjetische Innenminister Wadim Bakatin hatte am Donnerstag die Befürchtung geäußert, daß zwischen den beiden Republiken ein bewaffneter Konflikt ausbrechen werde. Im kirgisischen südlichen Grenzgebiet, im Fargana-Tal, wo es am Montag zu ersten blutigen Zusammenstößen gekommen war, halten die Auseinandersetzungen indessen mit unverminderter Härte an. Im Gegensatz zu dem Konflikt zwischen Armeniern und Aserbaidschanern spielen bei dem Konflikt in dieser Region religiöse Unterschiede keine Rolle: Beide Völker gehören der sunnitischen Glaubensrichtung an.
Nach Angaben der amtlichen sowjetischen Nachrichtenagentur 'Tass‘ vom Freitag hat der Konflikt bisher 78 Menschen das Leben gekostet. 350 Menschen sind verletzt worden. „Mit Sicherheit“ sei die Zahl der Toten viel höher. Allein im kirgisischen Bezirk Usgen seien in den letzten 24 Stunden etwa 180 Häuser niedergebrannt worden. „Niemand kann sagen, wie viele Bewohner dabei umgekommen sind.“
Auch in Usbekistan kam es zu militanten Übergriffen auf Kirgisen. Nachdem eine Menge von 10.000 Menschen auf kirgisisches Gebiet in der Nähe der Stadt Osch vorgedrungen war, konnten sie nur durch Schützenpanzer der sowjetischen Truppen „unter Anwendung von Gewalt“ zum Rückzug bewogen werden. Auf dem Rückzug wandten sich die usbekischen Demonstranten nun gegen kirgisische Dörfer auf der usbekischen Seite. Über die Zahl der Verletzten und Toten nach diesem Gewaltakt ist nichts bekannt.
Gegen die Gewalt demonstrierten am Freitag 7.000 Menschen in Frunse, der Hauptstadt Kirgisiens. Hauptveranstalter war die erst vor zwei Wochen gegründete Demokratiebewegung Kirgisiens. Der renommierte kirgisische Schriftsteller Kasat Agmatow rief dazu auf, „eine Tragödie“ zu verhindern. Die Ausrufung des Ausnahmezustands interpretierte er als Manöver der Parteiführung, um ihre eigene Herrschaft zu verlängern. Wie im benachbarten Usbekistan sind die örtlichen Parteiführungen unter erheblichen Druck der Demokratiebewegung geraten. Der usbekische Präsident Karimow bat Gorbatschow um noch mehr Truppen.
er
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen