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Ausländerpolitik„Totalitäre Intoleranz“

■ Scharfe Kritik der Bremer Grünen an CDU-Äußerungen über Milli Görüs

Nach den CDU-Attacken auf Henning Scherfs Moslem-Politik ist eine Diskussion über den Umgang mit der islamischen Milli Görüs-Gemeinde entbrannt. Rolf Herderhorst (CDU) forderte sogar ein Verbot der Organisation (tazvom 23.10.). Matthias Güldner, Fraktionsvize der Grünen, kritisiert Herderhorst scharf.

taz: Soll Milli Görüs verboten werden? Mit Bayern und Niedersachsen bereiten sich derzeit ein CSU- und ein SPD-regiertes Land darauf vor.

Matthias Güldner: Derzeit gibt es keine Vorwürfe, dass die Organisation in irgendwelche Straftaten verwickelt ist.

Wie kann CDU-Mann Herderhorst dann derart vehement vor Milli Görüs warnen?

Ich weiß nicht, über welche Informationen Herr Herderhorst verfügt, wenn er ein Verbot von Milli Görüs fordert. Schließlich sitzt er wie ich in der Parlamentarischen Kontrollkommission des Verfassungsschutzes. Der hat Milli Görüs nie Verwicklungen mit terroristischen Netzwerken unterstellt. Man muss differenzieren – offenbar nicht Herderhorsts Stärke. Geht es um Meinungen und religiöse Haltungen oder um politische Straftaten oder terroristische Umtriebe? Das Grundgesetz deckt Meinungs- und Religionsfreiheit. Vielleicht sollte Herr Herderhorst da genauer nachlesen.

Und was ist mit der „klammheimliche Freude“ nach den Anschlägen vom 11. September in Gröpelingen?

Herrn Herderhorst stören Kopftücher und Moscheen, ihn stört, dass Moslems Häuser in Deutschland kaufen. Eines Tages will er Piercings und grüne Haare verbieten. Das ist totalitäre Intoleranz. Es ist vorstellbar, dass sich die Öffentlichkeitsarbeit von Milli Görüs von dem unterscheidet, was in internen Zirkeln diskutiert wird.

Wie schätzen Sie Milli Görüs in Bremen ein?

Die Gröpelinger wissen sehr gut, was sie an ihren Moscheen und Kirchen im Stadtteil haben. Früher wurde Milli Görüs zu Recht der Vorwurf gemacht, eine zurückgezogene, undurchschaubare islamistische Gruppe zu sein. Heute ist sie in Bremen eine der offensten und dialogbereitesten Bewegungen der Moslems. Das wird ihnen jetzt zur Last gelegt: als besonders abgefeimte Strategie, die über die tatsächlichen Milli Görüs-Ziele hinwegtäuschen soll. Damit stellt man den Moslems eine Falle, aus der sie nicht herauskommen.

Die CDU attackierte vergangene Woche den Annäherungskurs von Bürgermeister Scherf. Wie soll mit Milli Görüs umgegangen werden?

Der Unterschied zwischen den Herren Herderhorst und Scherf ist, dass der eine integrativ, der andere ausgrenzend wirkt. Auch den Grünen gefällt nicht alles bei Milli Görüs: Der Umgang mit Frauen, die Vermischung von Staat und Religion. Dennoch könnten wir in Bremen Milli Görüs noch dringend als „Brandmauer“ gegen Gewalttäter und Extremisten benötigen.

Haben Herderhorsts Äußerungen Konsequenzen?

Auch ich unterstütze Aufklärung über terroristische Bestrebungen. Zugleich bin ich gegen Vorverurteilungen. Wenn Herr Herderhorst anfangen möchte, als Ausländerpolitiker ernst genommen zu werden, sollte er das direkte Gespräch mit MigrantInnen suchen und sich in die Lektüre über die von ihm diffamierte Organisation stürzen.

Fragen: Kai Schöneberg

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