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Ausgehen und rumstehen von Stephanie GrimmDissonanz als Seelenmassage

Foto: taz

Schwierige Tage standen bevor, das war klar. Nachdem ich bei der ersten Trump-Wahl aus Versehen zu lange wach geblieben war, nicht mehr von der Glotze wegkam und fluchend eine Nacht lang durch die Wohnung geisterte, wollte ich vorsorgen. Damals hatte ich im Anschluss nämlich wochenlang Grippe. Vor vier Jahren lief es besser, was das Ergebnis angeht. Trotzdem guckte ich viel zu viel auf Bildschirme, schließlich hieß es tagelang: too close to call. Diesmal also mehr Selbstdisziplin, dem Seelenfrieden zuliebe. Gerne wäre ich ja weggefahren, aber so ein mehrtägiger Ausflug ins Umland, in einen Wald ohne Funknetz, war im November dann doch nicht attraktiv. Also bastelte ich mir eine extralange, mit praktischen Verrichtungen gefüllte To-Do-Liste, um mich von Displays fernzuhalten. An den Abenden sollte dann Musik, Musik, Musik für Ablenkung sorgen. Am Ende kam bekanntermaßen alles anders. Zumindest mit quälender Ungewissheit war man diesmal nicht gestraft. Dafür mit Übelkeit vor dem Frühstück. An meinem Plan – Medien-Detox und Zerstreuung – hielt ich trotzdem fest.

Beim experimentell-noisigen Eavesdrop Festival war das leicht, schließlich hat man in den Katakomben der Betonhalle des Silent Green nicht mal Empfang. Hach, wie wohltuend Lärm sein kann. Dissonanz als Seelenmassage. Die Turntablistin Mariam Rezaei improvisiert schön britzelnd, am Folgeabend malträtiert die Pariserin Maria Garcia ihre E-Gitarre wunderbarst. Komplikationen lauern jedoch auch hier: Ich erspähe eine entfernte, grundsätzlich freundliche Bekannte aus der Expat-Musiker-Bubble, die beim Festival sowieso recht präsent ist. Sie trägt ein Palituch als Kopfschmuck und findet das – so signalisiert zumindest ihre Körpersprache – ziemlich toll.

Muss das sein? Och nöö … Mir vergeht die Lust, hallo zu sagen. Schließlich müsste ich dann auch andere Sachen sagen, das Tuch leuchtet arg rot. Heute nicht, der Tag ist scheiße genug. Ich geh in eine andere Ecke und mach die Augen zu. Erstaunlicherweise geht das auf: Wenn ich sie nicht sehe, sieht sie auch mich nicht. Wie damals, mit drei. Am Ende des technoiden Sets von Ilpo Väisänen sitzen alle im Nachhall des Kokon aus Krach ganz still, niemand will zurück nach oben.

Außerdem steht das Kleine Grosz Museum auf meiner Liste. Hunderte Male vorbeigeradelt, doch erst jetzt, wo wegen der Finanzierungslücke die vorzeitige Schließung ansteht, schaffe ich es. Nix geht ohne Deadline, schlimm. Die recht erhellende Sonderausstellung „Was sind das für Zeiten?“ erzählt von George Grosz, Brecht und Piscator.

Die Begleitung kann nur abends, zum Glück gibt es auf der Zielgeraden außerhalb der Öffnungszeiten noch Führungen durch die Ausstellung. Doof, erst jetzt zu entdecken, welch lauschige Oase sich hinterm Zaun an der unwirtlichen Bülowstraße verbirgt: eine hübsch umgebaute 1950er-Jahre-Tankstelle, mit Bambusgarten, Teich und Café.

Am Freitag ruft das nächste Konzert – diesmal mit Wohlklang, der durch Eingeweide brummt. Barbara Morgenstern hat in der Zwingli-Kirche ihr Ensemble dabei: Streicher, Schlagzeuger, einen Saxofonisten, der ein paar Saxofone hat. Besonders schön brummt die Bass-Version. Danach fühle ich mich von innen eingecremt.

Am Samstag gibt es ein vergnügliches Ringelpiez in der taz Kantine, bei dem eine lässige Bande – Bernadette la Hengst, Mittekill, Frau Kraushaar, Knarf Rellöm, Pastor Leumund und Sedlmeir – einander das Mikro reichen. Gegen Ende gibt es ein munteres Singalong, quasi eine Grußadresse über den Atlantik. Das Publikum stimmt beherzt ein: „Fuck Off And Die“. Doch gegen die Ahnung, dass alles vermutlich noch schlimmer käme, hilft auch kein News-Detox. Elon Musk beispielsweise wäre dann immer noch da.

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