Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang Fuentes: Ein alletztes Mal Schlange stehen vorm Watergate
Es tut gut, wieder in Berlin zu sein, denke ich mir, während wir in der fast leeren U1 Richtung Warschauer fahren. Es ist 4 Uhr morgens. Der Typ gegenüber lächelt uns mit roten Augen an. Ob wir auch auf dem Weg nach Hause seien, fragt er in gebrochenem Deutsch. Er sei LKW-Fahrer und hätte ab heute endlich ein paar Tage frei, das habe er heute Abend erstmal gefeiert. „Wir gehen tanzen“, sagst du, mehr oder weniger euphorisch, weil du vorhin eigentlich viel lieber im Bett geblieben wärst.
Der LKW-Fahrer schaut uns ungläubig an, dann muss er aussteigen. Prinzenstraße. Ausstieg rechts.
Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich auch eher nach schlafen. Fast 800 Kilometer quer durch die Republik und etliche Weihnachtsbesuche liegen hinter uns. Zuhause waren wir zunächst sogar eingenickt. Um uns dann wieder wachzurütteln. „Komm schon, es ist unsere letzte Chance!“, hatte ich gesagt.
Am Kotti – Ausstieg links – nimmt eine Gruppe schwarz gekleideter Partypeople, die „schnelle Brille“ auf der Stirn, die Bank gegenüber von uns ein. Das Tütchen mit den Partysmarties wird noch in den Socken versteckt, dann sind sie ready. Warschauer Straße. Ausstieg links. Es ist eisig kalt, beim Atmen bilden sich kleine Wolken vor unseren Gesichtern. Wir sind da. Ein allerletztes Mal stellen wir uns heute in diese Schlange. Die Schlange ins Watergate.
Ein allerletztes Mal, weil der Club zum Jahresende schließen muss. Farewell-Party heißt es heute. Der Mietvertrag konnte nicht verlängert werden, die Kosten seien zu hoch gewesen, so der Club. Ein Club, der gefühlt immer da war und von dem wirklich niemand dachte, dass er so schnell mal schließen müsste. Der Vermieter: Gijora Padovicz, Berliner Immobilien-Hai und „kapitalistisches Arschloch“ – wie du das auf dem Weg präzisierst – dem die Belange der Berliner Kieze scheißegal sind. Und dem unter anderem auch die Immobilien gehören, in denen die Renate oder die Marietta-Bar drin sind. Beide müssen auch bald schließen.
Die Stimmung in der Schlange schwankt zwischen Partylaune und jener, die meist in der für das Kondolenzbuch herrscht. „Klar ist das Watergate mittlerweile auch so’n Touriclub geworden. Aber, dass der schließt, das ist schon ein krasser Einschnitt für uns alle…“, sagt der Typ hinter uns. Er sei ja in Berlin aufgewachsen, sehe ins welche Richtung sich das alles entwickelt. Und weiß auch nicht mehr weiter. „Ich gehe gefühlt auf jede Demo“, sagt er. „Aber was bringt’s schon? Und jetzt haben sie ja auch noch diesen Amazon-Tower da hingebaut. Hat was vom Turm von Sauron.“ Wir lachen, auch wenn uns nicht danach zumute ist. Ich habe das Gefühl, dass ich diese Gespräche immer häufiger führe. Und doch keine Antwort weiß.
Für 30 Euro Eintritt kommen wir dann irgendwann rein. Das Watergate ist brechend voll. Der Andrang vor der Garderobe hat mehr was von einer Versteigerung in einem Auktionshaus als von einer gesitteten Schlange. Wir entscheiden uns für die Es-wird-sich-schon-eine-Ecke-für-die-Jacken-finden-Methode und drängeln uns weiter zum Floor. Der Sound ist geil, aber auf dem Waterfloor ist tanzen nur beschränkt möglich. Was soll man auch erwarten, wenn Kult „Easy Lee“ DJ Ricardo Villalobos am Pult steht? Wir wechseln zum Mainfloor und tanzen zum genauso gutem, etwas härterem Beat der polnischen DJ Magda. Irgendwann fällt dann auch der Weihnachtstress ab. Wir drehen uns ein letztes Mal eine auf der Watergate-Terrasse mit Blick auf Universal und dem Sonnenaufgang über der spiegelglatten Spree. Eine Eisschicht bedeckt die Sitzbänke, die so vieles miterlebt haben. Die Leute um uns herum haben schon längst ihre Sticker vom Handy weggemacht und fotografieren den roten Himmel. Ein allerletztes Mal einen Moment festhalten, der sehr bald nie wieder sein wird.
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