Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang Fuentes: Bauzaun, Schienen, Müll und E-Scooter
Jacke ausziehen und mir geben.“ Ich fluche innerlich. Flughafenähnliche Kontrollen in einem linken Club? Hatte ich nicht erwartet. In dem Moment, in dem ich meine Lederjacke langsam und widerwillig ausziehe, weiß ich schon, was folgt: „Bauchtasche auch abnehmen. Ganz.“ Und Sekunden später liegt natürlich auch schon das Beutelchen, das in meinen Socken stecken sollte, in den Händen des glatzköpfigen Security-Typen, der ja auch nichts für meine Unfähigkeit kann. „Also entweder du gehst oder ich schmeiß das weg“, grummelt er. „Wegschmeißen, auf jeden Fall“, denke ich und: „Es darf hier nicht enden.“
Zwei Stunden. Zwei ganze Stunden hatten wir für die knapp fünfzig Meter bis hierher in den Eingang gebraucht. Zwei Stunden, fünfzig Meter voller innerer Hochs und Tiefs. Struggle, fast aufgeben, wieder aufraffen, durchharren. B. und S. waren nach fünf Minuten schon gegangen, nach Neukölln in eine „Tanzbar, in der meistens House läuft“.
Dass wir da mit dem Fahrrad hinsollten, hatte mich noch weniger gecatcht, und dann hatte ich da auch noch J. mit ein paar Freunden direkt vor uns entdeckt. Und A. war auch dageblieben. Hatte bald angefangen „I want it that way“ von den Backstreet Boys feministisch auseinanderzunehmen. Um uns dann alle mit einem Ohrwurm stehen zu lassen, sich umzudrehen und den Leuten hinter uns seine Interpretation von „Findet Nemo“ zu geben.
Zu J.s Leuten gehört auch K. aus Griechenland, gerade mal drei Tage in Berlin. Die meiste Zeit steht sie beobachtend dabei. Irgendwann setzt sie sich doch etwas müde auf den Bordstein, geht ja eh nicht voran. Ein sehr realistischer erster Eindruck von Berlin, denke ich. Warten auf Techno und um eine rum nur Bauzaun, Schienen, Müll und E-Scooter. Währenddessen und weil wir sowieso schon die ganze Zeit am Zigarettenrauchen sind, hat J. nach einer demokratischen Abstimmung entschlossen doch noch einen zweiten zu bauen. Chillig.
Ich bekomme von T. eine ausführliche Erläuterung, warum Stuttgart selbst schlimmer als München ist, und muss einfach zustimmen. J. bekommt von drinnen eine Nachricht zur Lage geschickt: „Ist geil.“ Ein weiterer Ansporn, noch ein paar Minuten und Zentimeter durchzuhalten. Dann wieder A.: „Und wenn ich B. kurz schreibe, wie’s in der Tanzbar so läuft? Wir können ja mit dem Taxi …“ Ich sehe schon, wie er zu zappeln anfängt. „Lass mal noch zehn Minuten warten, okay?“, sage ich, während die Schlange sich um null Meter weiterbewegt. „F. hat jetzt auch gesagt, dass er kommt, wir müssen wenigstens auf ihn warten.“
An der Tür laufen ununterbrochen Leute ins Blank, bis mir auffällt, dass die vermutlich auf der Gästeliste stehen. Ich entscheide mich dafür, das nicht der Gruppe mitzuteilen. Dabei weiß ich selbst nicht, ob es das alles wert ist, das Warten und Rumstehen und Warten. Mitten in einer lauen Septembernacht am Ostkreuz. Ich rede mir ein, dass das jetzt einfach sein muss. Weil ja Corona „war“ und man nun endlich wieder feiern, tanzen und erleben kann, und wer weiß, für wie lange noch. Und die eine Stunde, die wir eh schon investiert haben, die darf ja auch nicht umsonst gewesen sein.
Außerdem wollte ich schon immer mal in dieses About Blank, weil links und von einem Kollektiv verwaltet und auch allein wegen des Namens schon. Zudem gehörte er laut irgendeines einigermaßen seriösen Internetportals bis vor wenigen Jahren zu den zwölf beliebtesten Clubs Berlins, hatte ich irgendwo aufgeschnappt, also safe besser als die „Tanzbar“. Und wer weiß, ob der Club nicht bald schon von der A100 geschluckt wird.
„Ja, schmeiß einfach weg“, sage ich entschlossen gegen den dumpfen Bass, der immer wieder mal durch die sich öffnende Tür dröhnt. Durch die lässt er mich dann auch ziemlich gleichgültig weiterziehen, der Security-Typ. Ich trete in einen Dunst aus Nebelmaschinennebel und Schweiß, dränge mich an Gruppen von hübschen Menschen vorbei, die getrieben von Bass, Euphorie und Pillen immer wieder mal im Licht aufflackern.
A. steht schon da und nimmt mich in den Arm. „Keine Sorge, ich habe noch mehr“, sagt er, fummelt an seinen Socken rum. Es ist 3 Uhr morgens, und wir haben es tatsächlich reingeschafft. Die Stimmung ist wieder da. Jetzt kann es nur noch gut werden.
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