Ausgehen und rumstehen von Robert Mießner: Mit Trillerpfeife und Rassel durch die Nacht
Vor einem schwarzen Bühnenvorhang sind ein schwarzer Hocker und ein Piano geparkt, davor ein metallgraues Mikrofon und links und rechts dreistöckige Lautsprechertürme aufgebaut. Ein Scheinwerfer macht den Vorhang zu einer Leinwand mit Mondaufgang. Draußen, in der Grauzone von Gesundbrunnen und Wedding, steht die Nacht in den Startlöchern. Drinnen wurden einmal Straßenbahnen repariert, jetzt wird improvisiert. Es ist Freitagabend, und in den Uferstudios an der Badstraße kann die zwölfte Ausgabe der „Serious Series“ beginnen. Die Konzertreihe für zeitgenössischen Jazz in Berlin, so heißt sie im Untertitel, wird von den Musikern und Komponisten Frank Gratkowski und Achim Kaufmann veranstaltet.
Die Eröffnung des Abends übernimmt der Saxophonist und Klarinettist Tobias Delius mit einem Soloauftritt. Das würde er selten tun; als Delius es einmal tat, wurde noch lange davon gesprochen, sagt Kaufmann, der durch das Programm führt. Delius beginnt, als würde er die an den zeitgenössischen Jazz geknüpften Angstvorstellungen sachte entrümpeln wollen: Am Tenorsaxofon klingt er anfangs zugänglich, an der Klarinette minimalistisch; aber es gibt plötzliche Ausbrüche, und sie werden mehr.
Konzentriert und verdichtet geht das Duo Ulrike Brand und Olaf Rupp und Susanne Brand an sein Werk. Sie am Cello, er an der elektrischen Gitarre spielen Kammermusik, die von Noiserock weiß und umgekehrt: Brand streicht den Cellobogen schon mal über den Holzkörper des Cellos, wodurch ein Klang wie von Jazzbesen herrührt, oder aber sie geht mit dem Bogen auf den Saitenhalter und lässt ein Gitarrenfeedback assoziieren. Rupp hingegen hält sein Instrument, als wolle er ein Kind in den Schlaf wiegen; in einem Moment passt diese so ruhige wie schräge Musik zur Umsicht des Duos, im anderen bildet sie einen unerwarteten Kontrast.
Den dritten Teil des Abends bestreiten Sebi Tramontana und Steve Beresford, der Posaunist und der Pianist sind so ernst wie verspielt: Beresford begleitet sich selbst mit einer Trillerpfeife, oder aber er bringt auf den Klaviersaiten einen batteriebetriebenen Verstärker und eine Rassel im Panda-Look zum Einsatz. Das klingt so farbenfroh, wie es ausschaut. Vor der Tür hat sich die Nacht auf ihre Wege gemacht.
Am Sonnabend um 18 Uhr ist es schon wieder dunkel. Nicht nur in Prenzlauer Berg, aber speziell hinter der Greifswalder Straße, und dieses Schattenreich scheint sich zu vertiefen, als ich durch die Tür zur Galerie Pleiku gehe. Zumindest ist das mein erster Eindruck von der Gruppenausstellung „how to start a fire“, kuratiert von Visual Artist Anni Porrasmäki. Sie zeigt Arbeiten von elf finnischen Künstlern: Fotografie, Druck, Malerei, Installation, Film, Zeichnung und Skulptur in einem kleinen Ladenraum in der Eugen-Schönhaar-Straße, die quer wie ein geknicktes Streichholz zwischen Anton-Saefkow-Park und Danziger Straße liegt.
Tatsächlich ist „how to start a fire“ dunkel grundiert. In Jussi Lipastis unbunter Arbeit „Sentfores“ streicht eine Figur verloren an einer Altbaufassade vorbei. Dass der Weg davor aufwärts führt, verstärkt noch die Tristesse. Inari Raaterova zeigt ein Holzhaus, wie man es aus dem Norden oder Osteuropa kennt. Es steht in hellen Flammen, die bereits durch das Dach gebrochen sind: In dem Rauch, er reicht bis an den Bildrand, lässt Raaterova einen Schriftzug beginnen: „Not Even Yoga Can Fix This“.
Aber, bei Anna Mäki-Jyllilä schweben zwei Stühle über dem offenen blauen Meer. Am Sandstrand steht ein weißgedeckter Tisch, der Wind spielt mit dem Tuch, darauf Wein und zwei Gläser. „Remembering a Dream“ heißt die Zeichnung, und es ist mit Sicherheit kein schlimmer. „Companion“ heißt eine aktuelle Arbeit von Mäki-Jyllilä, und da ist schon wieder ein Mond, ein sehr runder und voller zumal. Er passt auf, und der oder die da behütet wird, weiß es in dem Moment nicht. Noch nicht.
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