Ausgehen und rumstehen von Jan Jekal: Woanders sind die guten Plätze auch schon weg
Wir steigen in den Bus, auf dem „Hottengrund“ steht. Wir fahren nach Westen, wo die Kantstraße zur Neuen Kantstraße wird und dann zur Heerstraße; wir überqueren den Stillstand auf der Stadtautobahn, am Zentralen Omnibusbahnhof vorbei, immer weiter nach Westen, wo man sich nur aufhält, wenn das Wetter gut ist und man an einen See möchte. So weit in den Westen, dass er zum Osten wird. Die Heerstraße, frage ich mich, während sie durch die Busfenster an mir vorbeizieht, ist die ein Relikt nationalsozialistischer Stadtplanung? (Nein.) Heißt sie deshalb so? (Nein.) Wenigstens heißt sie nicht Speerstraße.
Außen nun: weites Land, karge Felder. Die Bushaltestellen tragen Namen wie Sandheideweg und Zur Haveldüne und Biberburg. Wir steigen aus und gehen runter zum Wasser. Es sieht hier nach Mittelmeer aus, nicht nach Brandenburg. Mediterrane Villen sind an Hänge gebaut, die weitläufigen Privatgrundstücke werden in Ufernähe von öffentlichen Wegen durchkreuzt, die Ufer selbst sind aber umzäunt und gehören wieder den Hausherren. An den Klingelschildern stehen nur Initialen.
Trockene Gräser wiegen sich hier sachte im Wind, weiße Segelboote schlagen keine Wellen auf dem See, in der Ferne röhrt ein nicht sichtbares Motorboot, Grillenzirpen, brummende Hummeln, Schmetterlinge. Durch die Blätter über mir fährt ein Windstoß, und ich mache mir hektisch Notizen auf dem Handy, um nicht zu vergessen, wie es ist. Immer dokumentieren, alles kann Beute sein.
Am nächsten Tag schauen wir das Finale der Fußballweltmeisterschaft, in dem Biergarten einer Craft-Beer-Bar im Bergmannkiez. Die guten Plätze sind schon weg, aber wir wollen nicht woandershin, denn woanders sind die guten Plätze auch schon weg. Also nehmen wir den Tisch, der am weitesten von den Fernsehbildschirmen entfernt ist, und versichern uns gegenseitig, dass man von hier aus doch eigentlich auch ganz gut sehen kann. An die Spiegelung in den Bildschirmen gewöhnt man sich bestimmt. Und den Ton machen sie wohl gleich lauter.
„Schieß doch!“
Adjektive, mit denen in der Getränkekarte verschiedene Craft-Biere beschrieben werden: cremig, würzig, kantig, blumig, grasig, süffig, nuanciert. Würde ich Bier trinken, ich hätte mir eines bestellt. Der Kellner ignoriert uns zunächst. Auf Kontaktversuche reagiert er mit einem freundlichen Lächeln bei unveränderter Bewegungsrichtung (von uns weg), bald kommt er mal in unsere Nähe, überlegt es sich dann aber doch anders. Konnte auch niemand ahnen, dass beim Finalspiel hier so viel los sein würde. Ich entscheide mich schließlich für die hausgemachte Limettenlimonade. Sie schmeckt dann gar nicht hausgemacht, sondern ganz gut.
Philipp Lahm erscheint auf dem Bildschirm. Er hält den Weltmeisterpokal, der nach dem Spiel dem Sieger überreicht werden wird. Zwei Stunden lang ist er noch Weltmeister. Danach ist er nur noch „Weltmeister von 2014“.
Das Spiel beginnt. „Die Franzosen sind die in Weiß“ ist ein Satz, den ich sage. Man ist für Kroatien an unserem Tisch, nach der Schwalbe Griezmanns, die zu einem Freistoß für Frankreich und somit zu der Führung Frankreichs führte, umso mehr. Die Leute am Tisch neben unserem jubeln für beide Mannschaften. Sie freuen sich, wenn Tore fallen; wer die Tore schießt, ist zweitrangig. Viele sprechen mit den Spielern auf dem Feld. „Schieß doch!“, ruft ein Mann. Der Spieler schießt. „Was machst du denn?“, ruft der Zuschauer daraufhin. Dem unglücklichen Torwart rät er, nachdem ein Tor gefallen ist: „Da musst du ein bisschen höher springen.“ Ich sage später den Satz: „Der Ball ist noch warm“, und nerve mich selbst.
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