Ausgehen und rumstehen von Ehmi Bleßmann: Langer Atem für lange Wochenenden
Als ich klein war, haben wir Ostern oft bei meinen Großeltern auf dem Land verbracht. Sie wohnen in einem kleinen Dorf in Sachsen, Felder und Wäldchen überall, mehr Bauernhoftiere als Einwohner.
Zur Ostereiersuche im Garten haben wir Kinder uns, fest entschlossen, in Rekordzeit alle Verstecke aufzuspüren, strategisch formatiert: Du übernimmst die Büsche neben dem Hühnerstall, du suchst bei den Kräuterbeeten, du buddelst neben dem Komposthaufen. Die Suche wurde von vielen Krisensitzungen unterbrochen, in denen Pläne zur Vertuschung versehentlich ausgerissener Pflanzen geschmiedet wurden. Oder weil der ganze Suchtrupp aufgeregt einberufen wurde, um eine unterm Geäst versteckte Eidechse bei ihrem Mittagsschlaf zu beobachten. Oder weil einer von uns sich dazu veranlasst sah, unter staunenden Augen der anderen zu berichten, wie er gerade den Osterhasen davonhoppeln sah.
Das ist lange her und Ostern ist jetzt ein anderes. Im Fokus der Feiertage steht nicht mehr die größtmögliche Ausbeute an Süßigkeiten. In der Erwachsenenwelt werden die freien Tage scheinbar einvernehmlich zur Pause vom Tagein, Tagaus an Arbeit, Verpflichtungen und Alltagsgedöns ausgerufen. So zumindest der Tenor: Ein langes Wochenende, nutz die Zeit, gönn dir was, mach was Schönes, beschenk dich selbst! Und danach, komm bitte voller Elan zurück an den Arbeitsplatz, widme dich fleißig deinen Aufgaben, lass dich von keinem Stress aus der Bahn werfen, immerhin konntest du dich ausruhen!
Na gut. Am Freitagnachmittag werfe ich einen letzten traurigen Blick auf meine Onlinebanking-App, bevor ich die Saunalandschaft des Vabali betrete.
Ich habe die letzten Stunden Briefe abgearbeitet, meine Wohnung geputzt, Dateien auf meinem Laptop akribisch in Ordner sortiert. Für so etwas sind freie Tage da, man erledigt Kram, der liegen geblieben ist – eine Auszeit muss man sich schließlich verdienen!
Der im Saunadorf schwirrende Duft von Räucherstäbchen und Aromaölen ist fast hörbar, wie ein gleichmäßig vibrierendes Ommmm. Menschen liegen eingewickelt in weiße Bademäntel auf gepolsterten Sofas, schlürfen Cocktails und sehen dabei total gesund, total erfrischt aus.
In der 70-Grad-Sauna flüstert eine Frau ihrer Freundin zu, wie nervenaufreibend der anstehende Osterbesuch bei den Schwiegereltern werden wird, dann reibt sie sich mit einem Schokoladenpeeling ein, nimmt ein paar tiefe Atemzüge und verabschiedet sich mit hochrotem Kopf.
Ich höre etwas später – da liege ich gerade im Kaminzimmer und rechne aus, wie viel Entspannungszeit vom 4-Stunden-Ticket bereits abgelaufen ist – zwei Mittdreißiger über die Unternehmensziele des Quartals reden. Sie sagen, so etwas sollten sie öfter machen, über die Arbeit zu sprechen täte gut und das ginge viel besser, wenn man Zeit und Raum dafür hätte. Den Samstag verbringe ich mit Freunden. Wir starren auf unsere Bildschirme, die Abgaben des letzten Semesters müssen bald eingereicht werden, na ein Glück, dass wir übers lange Wochenende mehr Zeit dafür haben. Vorm Schlafengehen bloß ein kurzer Abstecher im Alleingang, zur Friedrichstraße: Im kleinen Blumenladen des Bahnhofsgeländes kann man sich eigenständig Blumen aus den Vasen fischen, nur am Ende bindet doch die Floristin in eingespielten Bewegungen alles zusammen.
Bevor am Sonntag die nächsten Feiertagsaufgaben ihren Lauf nehmen, frage ich mich bei einem Blick auf den Strauß, ob es nicht vielleicht etwas mehr braucht als bunte Blätter, um sich selbst zu beschenken. Und dann beschließe ich, nächstes Jahr zur selben Zeit weit weg vom Berliner Alltag eine wirkliche Auszeit zu nehmen, in einem kleinen Dorf in Sachsen.
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