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Archiv-Artikel

nicht verpassen! Ausgebeutet

„Schuften bis zum Umfallen“, 21.05 Uhr, Arte (im Rahmen eines Themenabends rund um Arbeit und Arbeitslosigkeit)

Wer viel mit dem Zug fährt, erkennt sie sofort. Oder ist womöglich selbst einer von ihnen: Berufspendler. Die sich mit einem Kaffee in der Hand in ihren Bahncomfort-Sessel fläzen und lässig ihre Bahncard 100 zücken, während sie auf ihrem Laptop hoch wichtige Exceltabellen bearbeiten.

Von einer solch luxuriösen Form des Pendelns kann Andreas Wenke nur träumen: Montags muss sich der Lausitzer Fliesenleger mit seinen Kollegen in einen kleinen Bus quetschen, um hunderte Kilometer zu Baustellen im Westen zu fahren. Wenn’s gut läuft, kommt er am Wochenende nach Hause – wenn nicht, wird durchgearbeitet.

Auch die Leipziger Schneiderin Sandra Jahn, die sich mit der Gründung einer Ich-AG aus der Arbeitslosigkeit gehievt hat, kann von einem ausgefüllten Privatleben nur träumen. „Die meisten Freunde kennen mich eigentlich nur in meiner Werkstatt.“ Wochenende? Fehlanzeige. Im Urlaub war Sandra Jahn seit Jahren nicht mehr.

Mobilität, Flexibilität und keine Angst vor Überstunden. Wer in Zeiten von fast 5 Millionen Arbeitslosen einen Job bekommen will, hat keine Wahl und sagt „Ja“ – auch zum entferntesten Arbeitsort. Nach einer Studie des britischen Forschers David Lewis haben Berufspendler mehr Stress als Kampfpiloten. Bei ihrer Arbeit müssen sie trotzdem hundertprozentige Leistung bringen.

Selbst wer wie die 27-jährige Französin Yasmina Chaïeb das Glück hat, in seiner Heimatstadt einen Job zu finden, wird von den Arbeitgebern – wohl wissend, wie schlecht es auf dem Arbeitsmarkt aussieht – häufig bis zur Erschöpfung ausgebeutet. Bei Yasmina sind es 70 Wochenstunden für 608 Euro im Monat. Leben kann sie davon nicht. Deshalb muss sie am Wochenende babysitten.

Drastisch zeigt die Dokumentation „Schuften bis zum Umfallen“, welche physischen und psychischen Belastungen man in der heutigen Arbeitswelt eingehen muss. Dabei vermeiden es die vier Regisseure, einen sentimentalen „Früher war alles besser“-Ton anzuschlagen, sondern konzentrieren sich darauf, anhand von Fakten und konkreten Beispielen ein sehr genaues Bild dieser veränderten Arbeitswelt nachzuzeichnen, in der sich so mancher Zuschauer sicher wiederfinden wird. BETTINA SCHULER