piwik no script img

Auseinandersetzung in Türkei wird härterAKP-Kritiker verhaftet

Zum Auftakt des Verbotsprozesses gegen die türkische Regierungspartei AKP werden ihre Gegner eingeschüchtert.

Polizeiaufmarsch vor den Redaktionsräumen der Oppositionszeitung Cumhuriyet in Ankara. Bild: dpa

ISTANBUL taz Nur wenige mögen da noch an Zufall glauben: Just zur selben Zeit, als Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya vor dem türkischen Verfassungsgericht sein Plädoyer im Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP vortrug, verhaftete die Polizei am Dienstag im Rahmen einer Großrazzia in Istanbul und Ankara zwei Dutzend prominente AKP-Kritiker.

Die bekanntesten unter den Verhafteten sind der Ankara-Bürochef der wichtigsten Oppositionszeitung Cumhuriyet, Mustafa Balbay, der Vorsitzende der Industrie- und Handelskammer Ankaras, Sinan Aygün, und der Vorsitzende der Atatürk-Freundschaftsvereine, Sener Eruygur, ein Exgeneral, der maßgeblich die großen Demonstrationen gegen die AKP im letzten Jahr organisiert hat.

Den insgesamt 24 Festgenommenen wird vorgeworfen, zu einer nationalistischen Gruppe zu gehören, die in mehrere Attentate und die Vorbereitung eines Putsches gegen die Regierung verwickelt sein soll. Doch insbesondere die Durchsuchung der Redaktion von Cumhuriyet und die Festnehme des Leiters des Hauptstadtbüros schüren in der türkischen Öffentlichkeit den Verdacht, dass es weniger um seriöse Ermittlungen gegen mutmaßliche Attentäter geht als vielmehr um die Einschüchterung und Kriminalisierung bekannter AKP-Gegner. Als treibende Kraft hinter den Verhaftungen wird die islamische Sekte von Fethullah Gülen vermutet, die mittlerweile über erheblichen Einfluss in der Polizei verfügen soll.

Denn während das Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfindet - auch die mündliche Anhörung des Generalstaatsanwalts am Dienstag war nicht öffentlich -, wird die Auseinandersetzung zwischen Religiösen und Laizisten in der Öffentlichkeit immer härter. Letztes Opfer einer Schmähkampagne war der amtierende Chef des Heeres, General Ilker Basbug. Die islamistische Gazette Vakit, die für ihren Kampagnenjournalismus berüchtigt ist, zeigte Basbug bei einem Besuch Jerusalems vor der Klagemauer und bezichtigte ihn, ein "Krypto-Jude" zu sein, eine schlimme Schmähung in islamischen Kreisen. Der Heereschef, der Ende August bei dem turnusgemäßen Wechsel im Generalsstab selbst Generalstabschef werden soll, gilt den Islamisten als kommender wichtigster Gegenspieler und sollte wohl bereits vor seiner Ernennung demontiert werden. Ministerpräsident Erdogan hatte sich jedoch von dieser Kampagne indirekt distanziert, indem er Basbug zu einem Vieraugengespräch empfing und ihm zugesichert haben soll, die Regierung werde seine Ernennung nicht behindern.

Im AKP-Verbotsverfahren geht es am Donnerstag mit der mündlichen Stellungnahme der AKP-Anwälte vor dem Verfassungsgericht weiter. Danach wird einer der elf Richter als Berichterstatter die Ergebnisse der Anhörungen und schriftlichen Einlassungen zusammenfassen und seinen Kollegen eine Empfehlung vorlegen. Ende des Monats oder Anfang August wird mit einem Urteil gerechnet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • H
    HER

    @Herr Güler:

     

    Es sieht zwar nicht gut aus mit der wehrhaften Republik, aber zumindest das:

    http://www.hurriyet.com.tr/gundem/9356049.asp?gid=229&sz=24681 *

     

    Naja, die Hoffnung stirbt zuletzt!

     

    zu *: Damit's durchkommt eine kurze deutsche Erklärung: In der Nähe von Izmir haben heute früh 400 Gendarmen (~ Militär) eine AKP-Verwaltung gestürmt und u.A. den Gemeindevorsteher festgenommen, während Erdogan gerade nach Izmir kam, um eine Rede zu halten.

  • H
    HER

    @Domas: "Die bringt der Westen diesem leidgeplagten Volk nicht.

    Da wird raufgehauen und Jubelhymnen auf läizistische-kemalistische Ordnung gesungen."

     

    HÄ?! I glaab i wärd narrisch! Schau' Dir doch bitte mal die Ergebnisse bei einer Google-News-Suche zum Begriff "Türkei" an. Der Tenor ist EINDEUTIG pro AKP. Probier's doch einfach mal aus. Du verlautbarst hier, wie es die Islam- und Türken-Hasser tun, welche in zig Medien und Foren behaupten, dass ihre "Kritik" nicht veröffentlicht und gebannt werde, was man dann ÜBERALL lessen kann.

     

    @Sami: Und noch so einer.

     

    Wer hat den Susurluk-Skandal erstmals veröffentlicht und Namen genannt (z.B. den von Veli Kücük)? Prüf's nach, es war die Cumhuriyet und namentlich Ilhan Selcuk. Nun wird Ilhan Selcuk in einem Atemzug mit Veli Kücük festgenommen und zu einem Netzwerk verschränkt und da soll man sich nicht fragen dürfen: Äh, ist das nicht vielleicht doch eine Säuberung unter falscher Fahne?

     

    Ob das "Tagebuch" echt ist, ist zumindest fraglich. Es gibt offiziell eine Nachrichtensperre zu dem ganzen Fall. Warum werden aber nur Veröffentlichungen von AKP-Gegner sanktioniert, während regierungskonforme Medien permanent seltsame Internas weitergeben können. Die AKP-Gegner werden durchgängig als "Nationalisten" verleumdet. Was ist aber mit den Nurcular? Berufen sich diese nicht u.A. auf Kisakürek und die Büyük-Dogu-Ideologie? Was ist mit der Auftrags- und Postenvergabe in der Türkei und dem Kopftuchtragen der Ehefrauen der Protegierten? Was ist mit staatlichen Dienstleistungen gegenüber nicht Kopftuchträgerinnen und deren Familien (z.B. die Fälle in Denizli)? Alkohol-Ausschank und Mahalle Baskisi sind auch nur Lügen. Offener Antisemitismus und Fremdenhass in AKP-Medien (z.B. bei Anadolu Vakit) gibt's auch nicht... usw. usf.

  • S
    Sami

    Es ist nicht einfach die letzten Entwicklungen in der Türkei zu verfolgen, auch wenn man am Ort des Geschehen wohnhaft ist und lebt. In diesen Wochen werden Menschen verhaftet, die unter anderem AKP-Kritiker sind. Stimmt, sie sind AKP-Kritiker, aber nicht aus demokratischen Stücken und nicht mit demokratischen Mitteln betreiben sie ihre Kritik und Opposition. Den Verhaftungen gingen eine Reihe von Ereignissen voraus, die für Aufruhr gesorgt hatten aber in ausländischen Medien nicht so sehr Interesse fanden.

     

    Der Bericht von Gottschlich vom 2. Juli erweckt den Anschein, als ob es um eine Verhaftungswelle geht, durch welche die Einschüchterung der demokratisch-friedlichen Gegner oder Kritiker der AKP bezweckt wird. Die verhafteten Generäle als Handlanger „des tiefen Staates“ haben daraus kein Hehl gemacht, dass sie mit AKP-Regierung nicht zufrieden sind, weil ihre göttlich verehrten Ideale des Kemalismus nicht gebührend Beachtung fände. In früheren Jahren hätten sie ohne Bedenken geputscht und den Ministerpräsidenten mit banalen Schuldweisungen zum Tode durch den Strang verurteilt und den Tag für Feiertag erklärt, wie es in 60er Jahren der Fall war. Erdogan wehrt sich gegen dieses Schicksal der auf Putsch dressierten Generäle, deren Putsch-Obsession in dem beschlagnahmten Tagebuch des ehemaligen Admiral der Seeflotte Özden Örnek zwischen den Jahren 2002-2005 nachzulesen sind. Es geht nicht um Repressalien der AKP-Regierung, viel mehr um die Fortführung des Demokratisierungsprozesses der Türkei, durch die die Macht des Establishments der militärischen-kemalistischen Oligarchie ein Ende finden würde. Man sollte nach all den Jahren diese Freiheit und Volkssouveränität auch den in der Türkei lebenden Menschen gönnen.

  • HG
    Herr Güler

    Hat doch alles kein Sinn mehr, die europär wollen das doch nicht hören/wissen, die sind der Meinung das gemässigte Islam besser ist als radikale und sehen nicht das die Islamisten sich verkleiden! Naja egal kurz oder lang hoffe ich ehrlich gesagt auf die Armee auch wenn die z.Z. wie Maus in der Ecke hocken und sich alles gefallen lassen! Lieber eine kurzweilige Millitär Diktatur als ein Islamische Gottesstaat aber wenn man das sagt werd man ja zu Anti-Demokraten!:-(

  • D
    Domas

    Und die Trauerarbeit geht weiter.

    Es ist wirklich traurig wie die türkischfeindlichen Interessen in dieser Situation einer realistischen Berichterstattung weichen.

    Die Türkei ist in Teilen sehr europäisch, glaubt die Mehrzahl derer, die die gesellschaftlichen Strukturen von oben sieht. Doch die Mehrzahl der Armen und Zurückgelassenen wünscht sich Gerechtigkeit und Achtung. Die bringt der Westen diesem leidgeplagten Volk nicht.

    Da wird raufgehauen und Jubelhymnen auf läizistische-kemalistische Ordnung gesungen.

    Die Unterdrückung mittels kapitalistischer Methoden und gepflegt durch orientalische Selbstgerechtigkeit sind Bilder, die nicht die AKP trägt, sondern die Generäle und da ist Ende im Gelände.

  • KM
    Klaus Möller

    Ich bin davon überzeugt, daß in der Türkei der Osten des Landes (Anatolien), den Westen des Landes (Balkan/Kemalismus) politisch, wirtschaftlich und kulturell schlucken wird. Jetzt schon stammt über 90% der istanbuler Bevölkerung, durch die große Zuwanderung, aus Anatolien.

  • H
    HER

    @Kritikerin:

     

    Mich wundert's auch a' bisserl. So viele Artikel auf TAZ.de zum Thema Türkei und zum Fall Şen und kaum ein Kommentar?!

     

    Wenn's so ist, wie ich mir denke, dann will die Online-Redaktion einfach ihre Seite vom üblichen Türken-Bashing-Müll sauber halten; als Zensur würde ich es allerdings nicht bezeichnen, da es sicher nicht im Interesse der TAZ sein kann, zu einem weiteren Müllhaufen zu verkommen, wie es z.B. bei PI, der Welt oder dem Focus der Fall ist. Und nicht zu vergessen: Der Cache von Google vergisst nicht so schnell!

     

    Falls dieser Kommentar durchkommt, was ich nicht bezweifle, möchte ich daher ganz im Dienste der üblichen Kritiker folgende Punkte erwähnen, welche unbedingt im Zusammenhang mit dem Fall Şen und den Ereignissen in der Türkei erwähnt werden müssen, weil es unbedingt damit zusammenhängt:

    - Ehrenmorde

    - Armenier-Genozid

    - Kurden-Genozid

    - türkischer Ultranationalismus

    - Kulturelle Unvereinbarkeit mit was auch immer

    - Zypern-Besetzung

    - Islamismus und Koran

    - die Belagerungen Wiens

    - Christenverfolgung

    - EUrabien

    - Die große Flut

    - Türken raus!

    - Deutsche, wehrt euch!

    - Ausländer-/Türken-Kriminalität

    ...

     

    Na, habe icht etwas vergessen, was Du, 'Kritikerin', in Deinem Kommentar aufgeführt hattest oder hattest Du tatsächlich etwas anderes angemerkt?

     

    Wenn ja, dann versuch's doch einfach nochmal. Vielleicht lag's einfach nur an der Wortwahl oder an missverständlicher "Ironie".

     

    Sollte ich mich allerdings nicht irren, dann möchte ich die Online-Redaktion der TAZ ausdrücklich für diese neue Richtlinie loben.

     

    Es ist keine Zensur, wenn ich einem/einer Anderen verbiete ein politisches Transparent in meinem Garten aufzustellen!

  • K
    Kritikerin

    Zensur Zensur Zensur ZENSUR ZENSUR

  • H
    HER

    ...noch was: Die interessanteste Festnahme ist, finde ich persönlich, die von Turhan Çömez (Ex-AKP'ler).

     

    Da konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen!

     

    Aber, wenn Langendijk und Konsorten die AKP doch immer verteidigen, weil sie doch so demokratisch und liberal und kuschlig ist, dann kann's ja nichts Schlimmes sein.

  • H
    HER

    Na, langsam liest man auch mal in deutschen Medien was von Fethullah Gülen.

     

    Wer ein bisschen sprachbegabt ist, dem empfehle ich ab und zu einen wichtigen Propagandakanal der Fethullah'cilar zu verfolgen: www.rferl.org

     

    Oops, wird Radio Free Europe nicht vom US-Kongress finanziert/organisiert?

     

    Wer's nicht glaubt, der höre sich die turksprachigen Programme durch. Bei den tatarisch/baschkirischen, aserbaijanischen, kasachischen, etc. Programmen ist seit einigen Monaten quasi in jeder Sendung mindestens ein Fethullah'ci zu vernehmen. Meist zu Themen wie Bildung (Gülen-Schulen), Religion, Russland (Extrem-Hetze) und Türkei (AKP ist super).

     

    Im tatarisch/baschkirischen Programm von RFE (www.azatliq.org) ist's am extremsten. Hier habe ich in den vergangenen Wochen mindestens zwei Mal offene Aufrufe zu - "notfalls" - gewaltsamem Unabhängigkeitskampf gegen die russische Besatzung vernehmen dürfen.

     

    Einfach zum Kotzen: dieser Sender und F. Gülen!