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■ Aus der guten alten ZeitBüßen für das Waldsterben

Wirtschaftliche Expansion und technische Innovationen kennzeichnen die Zeit nach der Jahrtausendwende. Lange vor den Kapitalisten mit ihrer Ethik der Ausbeutung haben die mittelalterlichen Bewohner Europas mit erstaunlicher Gründlichkeit ihre natürliche Umwelt verändert. Manches Umweltproblem war damals schlimmer als heute.

Der französische Staatsmann und Abt Suger beschrieb anno 1140 die Schwierigkeiten beim Bau der Abteikirche von Saint Denis. Für den Dachfirst des Mittelschiffs ließ sich in der Umgebung von Paris kein Holzbalken finden, der lang und stark genug war. Suger mußte gut 50 Kilometer weit reiten, bevor er ein paar geeignete Bäume fand – „zur Überraschung aller“, wie er notierte. Was der Abt nicht schrieb: Er war selbst mitschuldig am Holzmangel. Für einen einzigen Quadratmeter farbigen Glases der Kathedralenfenster mußten wohl hundert Quadratmeter Wald verfeuert werden.

Dabei war bis zur Jahrtausendwende ganz Mitteleuropa von dichtem Wald bedeckt. Er galt als schrecklicher Ort, den man mied – Hänsel und Gretel künden davon. Dann aber erlaubte eine landwirtschaftliche Revolution mit ochsengezogenen Pflügen immer mehr Land zu beackern. Landherren lockerten die Abgabenpflichten ihrer Leibeigenen, wenn diese zusätzliches Land urbar machten. Holz für Schiffe, für Häuser und Fässer, Holz für Kalk-, Ton- und Backöfen, aber vor allem für Eisen: In einem einzigen Hochofen verbrannte in 40 Tagen Wald im Radius von einem Kilometer.

Rohstoffmangel war die Folge. Hochwertiges Bauholz wurde so knapp, daß Architekten neue Hauskonstruktionen ersannen, für die kurze Balken hinreichten: die Fachwerkhäuser. Im 13. Jahrhundert war es mehr der Mangel an Eichenholz für die Fässer, der den Preis des Weines diktierte, als der Weinanbau selbst. Eine Baseler Chronik meldet zahlreiche Überschwemmungen am Oberrhein, die die Getreideernte vernichteten: Das wegen der Abholzung an den Hängen ungehindert herabfließende Regenwasser lasse die Flüsse über die Ufer treten.

Die Natur schlug zurück und entledigte sich in Europa eines Viertels ihrer Plagegeister. Das 14. Jahrhundert gehört den apokalyptischen Reitern: Krieg, Hunger, Pest und Tod. Doch die Natur erholte sich, die Wälder kehrten zurück.

Die ständigen Mißernten jener Zeit sind nicht nur der Umweltzerstörung anzulasten. Durch natürliche Ursachen wurde das Klima kalt und verregnet. Doch die Vernichtung der Wälder trug das ihre dazu bei. Flagellanten geißelten sich selbst für die Sünden der Menschheit – an die Umweltsünden dachten sie wohl kaum. Die meisten aber bestraften lieber andere – die Scheiterhaufen für die Hexen loderten. Nicola Liebert

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