■ Aus der guten alten Zeit: Soda und saurer Regen
Nicht erst die heutigen Chemiegiganten entsorgen ihre giftigen Gase und Abwässer kostenlos in die Umwelt. Schon im letzten Jahrhundert haben Fabrikanten mit Soda gewaltige Schäden angerichtet. Diejenigen, die die Nachteile ertragen mußten, wehrten sich. Doch diesen Umweltinitiativen war die Natur als solche kein Wert, sondern die Unversehrtheit ihres Eigentums.
Der griechische Geograph Strabo berichtet schon um die Zeitenwende, daß Silberschmelzöfen mit hohen Schornsteinen ausgestattet wurden, „damit der Dampf aus den Erzmassen in die Höhe aufsteige; denn er ist schädlich und tödlich“. 2.000 Jahre später befaßt sich unsere TA (Technische Anleitung) Luft immer noch in extenso mit der vorgeschriebenen Mindesthöhe von Schornsteinen, damit die Luftverschmutzung sich nicht an einzelnen Orten zu stark konzentriere.
Zunächst waren es vor allem Blei und Arsen, dann Steinkohlequalm, die als starke Umweltbelastung empfunden wurden. Der Begriff saurer Regen wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in England geprägt. Am Pranger stand damals die Soda-Branche, vor 150 Jahren eine boomende Schlüsselindustrie, die den Grundstoff zur Herstellung von Seife und Glas, als Bleichpulver für Textilien und zur Papierproduktion bereitstellte. Das aus den Schornsteinen quellende Chlorwasserstoffgas bildete zusammen mit der Luftfeuchtigkeit Salzsäure, die sich als ätzend saurer Regen niederschlug. Die Folge war, wie etwa die Times klagte, daß einst fruchtbare Landstriche „von tödlicher Braunfäule befallen werden, bis sie so unfruchtbar sind wie die Strände des Toten Meeres oder die Ufer des Großen Salzsees“.
Die Landbesitzer fürchteten um die Erträge und deckten die Fabrikanten mit Klagen ein. Die waren schnell zu Entschädigungszahlungen bereit. Die Verursacher hatten es damals noch schwer, ihre Verantwortlichkeit zu leugnen, da es nur wenige Betriebe gab. Vor knapp 150 Jahren begannen die Fabrikbesitzer denn auch mit dem Bau immer höherer Schornsteine, um die Belastung wenigstens weitflächig zu streuen.
Bald jedoch hatten die Grundbesitzer das ständige Spiel von Klagen und Entschädigungszahlungen satt. In England schalteten sie das Parlament ein. Da das britische Oberhaus überwiegend aus adligen Großgrundbesitzern bestand, war es nicht verwunderlich, daß sich schon 1863 ein spezielles Alkali-Gesetz durchdrücken ließ. Und siehe da, die verschreckten Soda-Fabrikanten kooperierten eifrig. Zunächst aus feuchtem Reisig, das die Gase band, und später aus Koks wurden Filteranlagen eingebaut – mit der Folge, daß die Gasabfälle in flüssige Abfälle verwandelt wurden und so das Leben in den Flüssen der Umgebung vernichteten.
4.000 Tonnen Abgase hatten die Fabriken noch 1863 in die Luft geblasen; ein Jahr später waren es nur noch 43 Tonnen. Doch die Euphorie über diesen Erfolg ebbte rasch wieder ab. Knapp zehn Jahre später mußten die erstaunten Gesetzgeber feststellen, daß die Emissionen fast wieder so hoch waren wie zuvor. Denn das Wachstum der Soda-Industrie machte alle Emissionsverminderung zunichte. Nicola Liebert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen