■ Aus der Reihe: „Attentate im Vergleich“: Die RAF schlägt Hoechst um Längen
Der hessischen Bevölkerung ist in den letzten Wochen einiges zugemutet worden: kaum sind die Ku- klux-Klan-Männchen der Hoechst-AG samt Schaufeln und Besen verschwunden, werden die BürgerInnen durch eine Explosion unsanft geweckt. Ausnahmsweise ist diesmal aber kein Chemiekessel oder Kühlsystem in die Luft gegangen; bei den einstürzenden Neubauten handelte es sich um einen Hochsicherheitstrakt, und die Katastrophe war geplant.
Daß Menschen nicht verletzt oder getötet wurden, ist in der RAF-Strategie ein entscheidender neuer Schritt, und wenn die erste Hysterie vorbei ist, wird dies vermutlich auch gewürdigt. Jenseits politischer Fragen aber ist die Perfektion der Sprengung zu bewundern: hier standen Aufwand und Wirkung, Risiko und Folgen in einem optimalen Verhältnis.
Das unterscheidet auch die Attentate: Bei den sogenannten Unglücksfällen der Hoechst AG (Nicht immer. Aber immer öfter.) war der Aufwand für die Anschläge auf die Volksgesundheit denn doch groß: jahrelange Hochleistungsproduktion, tägliche Schichtarbeit, teure Forschungsprogramme und aufwendige Sicherheitsbestimmungen waren erforderlich, um eine vergleichsweise geringe Schädigung zu erzielen. Das Risiko für die Beschäftigten selbst (ein Toter, ein Schwerverletzter in diesem, noch jungen Jahr) war angesichts der Folgen („Ein Risiko für die Bevölkerung besteht nicht.“) wahrhaftig überproportional. Dagegen die RAF-AG: äußerst geringer Aufwand (200 kg Sprengstoff, ohne Probelauf optimal plaziert) bei phänomenaler Wirkung, null Risiko für Attentäter und Wachpersonal bei maximalen Folgen für Politik und Wirtschaftswachstum.
Die deutsche Industrie – und gerade ihre Abteilung Chemie – klagt schon seit langem, daß es der Bundesrepublik bei ihren langwierigen, überkomfortablen Bildungswegen kaum gelingt, fähigen Nachwuchs heranzuzüchten: die einen wandern ins Ausland ab, die anderen in den Waffenschmuggel, und auch Hoechst muß nehmen, was übrig bleibt. Die letzten Wochen haben uns nicht überzeugt. Wo, wenn nicht in der jüngsten Generation der Roten Armee Fraktion, wäre der Nachwuchs für die Führungsetagen bei Bayer, Hoechst und Sandoz zu akquirieren? Das perfekte Attentat, als Unfall getarnt, mit dem optimalen Verhältnis von Einsatz der Mittel, Risiko und Folgen, liefern diese enthusiastischen Fachkräfte, die noch von keiner Uni verdorben sind. Auch bei der Verunklarung aller Verantwortlichkeiten ist die RAF professioneller: trotz Bekennerbrief ist die Identität der Täter nicht gesichert, zudem „fehlt jede Spur“. Fluchtwege, neue Identitäten, Techniken des Untertauchens für Vorstände, Aufsichtsräte und Betriebsleiter: von der RAF lernen heißt Siegen lernen, meine Herren! Auch Attentate wollen gelernt sein. Elke Schmitter
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