Aus der Katastrophe lernen: Dem Druck widerstehen
Kann es eine Tragödie wie in Duisburg in Berlin geben? Auf der Fanmeile am 17. Juni ist mehr Platz, sagt Mittes Baustadtrat. Doch Veranstalter ignorierten Sicherheitsbedenken.
Berlin, 23. Juni, 16.05 Uhr: Kurz nach dem Anpfiff des entscheidenden Vorrundenspiels Deutschland - Ghana ist die Fanmeile dicht. Als sich rund 250.000 Fußballfans zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor tummeln, sperrt die Polizei die Zugänge zur Straße des 17. Juni. Die Bilanz: keine Vorkommnisse. Zu den Spielen gegen England, Australien und Spanien durften dann sogar 350.000 Zuschauer auf die Fanmeile. "Doch die Sicherheit steht immer im Vordergrund", sagt Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD).
Die Katastrophe auf der Loveparade von Duisburg, bei der am Samstag 19 Menschen starben, hat Gothe im Urlaub erreicht. Dass es nur einen Zu- und Abgang zur Loveparade am alten Güterbahnhof gab, kann er nicht verstehen. "Bei jeder Massenveranstaltung ist das Thema Panik eines der wichtigsten", sagt er. Gothe weiß, wovon er redet. Als Baustadtrat ist er die letzte Genehmigungsinstanz für Großveranstaltungen wie die Fanmeile auf der Straße des 17. Juni oder das Silvesterfest am Brandenburger Tor.
Auch die Loveparade fand von 1996 an mehrfach auf der Straße des 17. Juni statt. Dabei wurde 1999 mit 1,5 Millionen Teilnehmern erstmals die Millionengrenze geknackt. Größere Probleme gab es damals nicht. "Die Menschen können im Panikfall nach Norden und Süden in den Tiergarten", sagt Gothe.
Abzäunungen gab und gibt es trotzdem - nicht zuletzt, um die Hecken an der Straße des 17. Juni zu schützen. "Im Panikfall muss es aber möglich sein, über die Absperrungen zu klettern", so Gothe. Beim Fanfest im Juni waren sie ein Meter hoch.
Gleichwohl gibt es immer wieder Konflikte, weiß der Baustadtrat. "Oft ist der Druck der Veranstalter sehr groß. Wenn man dann sagt, wir müssen noch mit der Feuerwehr beraten, hat man schnell die Rolle des Bedenkenträgers." Umso wichtiger sei es, diesem Druck zu widerstehen. "Alle Sicherheitsbedenken müssen ernst genommen werden."
Ähnlich äußerte sich auch Michael Reinke. Der stellvertretende Vorsitzende des Berliner Landesverbands der Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert nach der Massenpanik auf der Duisburger Loveparade das Sicherheitskonzept der Veranstalter. Es sei sehr gefährlich, bei Massenveranstaltungen das Gelände fast komplett einzuzäunen, sagte Reinke. Ein Tunnel als einziger Fluchtweg habe in Duisburg dann zur Katastrophe geführt: "Dort fühlt man sich eh schon eingeengt", sagte Reinke. Überdies hätten sich Veranstalter und Sicherheitskräfte wohl erheblich bei der Zahl der anreisenden Raver verschätzt. "Ich will die Duisburger Polizeiführer nicht angreifen - aber der Massenandrang wurde wohl unterschätzt."
Für die Berliner hat am Sonntag Klaus Wowereit (SPD) seine Betroffenheit formuliert. "Es ist jetzt die Stunde der Trauer und des Mitgefühls mit den Angehörigen", so der Regierende Bürgermeister. Mitgefühl für die Loveparade hatte Berlin aber schon lange nicht mehr. Seit 2001 wurde der Umzug nicht mehr als politische Demonstration gewertet. Für die Beseitigung des Mülls mussten die Veranstalter aufkommen. 2006 fand die letzte Loveparade auf dem 17. Juni statt.
Nach der Katastrophe von Duisburg will man in Berlin künftig noch intensiver über das Thema Sicherheit reden. "Wir werden uns noch einmal mit allen Beteiligten solcher Veranstaltungen unterhalten müssen", kündigte Mittes Baustadtrat Gothe an. Dies gelte vor allem für das Silvesterfest. "Am Pariser Platz gibt es als Fluchtweg nur die Linden und das Brandenburger Tor", sagt Gothe. "Da müssen wir noch mal genau hinschauen."
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