piwik no script img

Aus dem taz-MagazinSex, Drugs & Rollstuhl

Alle Versuche, clean zu werden, sind gescheitert: In Zürich gibt es ein Wohnheim für Suchtkranke, in dem sie Drogen konsumieren können und nicht zur Therapie gezwungen werden

Kein Zwang, keine Überprüfung - das ist Einzigartig. Bild: dpa

Marcell hat Christine vor acht Jahren kennengelernt. Sie saß mit ihrem Hund auf der Straße und bettelte. "Ich habe sie noch an dem Abend mit nach Hause genommen", erinnert sich Marcell und auf seinem starren Gesicht ist so etwas wie ein Lächeln zu erkennen. "Liebe auf den ersten Blick", sagt Eva. "Liebe auf den ersten Blick", wiederholt er. Heute ist Marcell 36 und immer noch mit Christine zusammen. Sie teilen sich ein Zimmer im Altersheim.

Die Sex und Drugs Generation kommt in die Jahre. Viele haben überhaupt nur solange überlebt, da man seit fünfzehn Jahren verstärkt mit verschiedensten Therapiemöglichkeiten gegen Sucht und Verbreitung angeht. In Zürich gibt es seit einem Jahr ein Wohnhaus für Süchtige, "die zur Abstinenz nicht willens oder nicht fähig sind", so erklärt es die Website des Zürcher Sozialdepartments. Begleitetes Wohnen City, kurz Bewo-City, heißt die Einrichtung.

Wer in der Schweiz mit Suchtkranken zu tun hat, nennt sie "Altersheim für Junkies". Es gibt hier keine Singgruppe, keinen Bastelabend. Hier wird auch nicht der verdiente letzte Lebensabschnitt mit Opiaten im Blut und Geranien auf den Balkons genossen. Keine nette Seniorenresidenz bei der nur eben der Kaffeeklatsch mit Kokain bestritten wird. Hier leben Randständige. Menschen, die durch Sucht und Krankheit so beeinträchtigt sind, dass ihr Verhalten für jede andere Form von Gemeinschaft untragbar wurde.

Anders als in anderen sozialen Einrichtungen gibt es im Bewo City keinen Zwang zur Therapie mehr und keine Überprüfungen von Fortschritten oder Einklagen von Abmachungen. Das ist die Einzigartigkeit. Die Bewohner dürfen ihre Drogen in ihren Zimmern konsumieren. Sie dürfen fixen, saufen, sich mit dem betäuben, was auch immer ihre Sucht von ihnen fordert. Im Bewo City aber leben Menschen, die ein Leben voller gescheiterter Versuche, clean zu werden, hinter sich haben.

Jetzt lässt man sie. "In der Schweiz betrachten wir das Selbstbestimmungsrecht des Menschen als eine zentrale Größe", sagt der Stadtarzt Albert Wettstein. "Auch wenn es uns vielleicht nicht gefällt, was der einzelne daraus macht." Dieses Recht gilt nicht nur für den, der sein Leben selbst in einem Schritt beenden will, sondern auch für den, der sich ratenweise mit Drogen vergiftet.

Die komplette Geschichte über das Heim und seine Bewohner von Judith Luig erscheint am Samstag im Magazin der Tageszeitung. Am Kiosk.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!