Aus dem taz-Magazin: Kerzen, Kunsthandwerker und Chaoten
Besinnliche Weihnachtszeit? Festliche Musik und gemütliche Stimmung auf dem Weihnachtsmärkten? Alles Heuchelei, meint ein Standbesitzer. Eine Polemik aus dem Glühweininferno.
Der Weihnachtsmarkt unterstreicht in vielen Städten die Vorfreude und das Festliche der Weihnachtszeit. Doch hinter dieser heimeligen Kulisse ist die Welt nicht ungestört wie frisch gefallender Schnee. Mit den Weihnachtsmärkten geht es bergab. Vor allem bei den traditionell arbeitenden Kunsthandwerkern macht sich der Unmut breit.
Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, hin zur Billigware aus Fernost, machen auch vor dem Weihnachtsmarkt nicht halt. Lieber als eine handgezogenen Kerze für zehn Euro kaufen die Kunden zehn für einen. Made in Taiwan, natürlich. Der Kunsthandwerker soll nicht mehr werkeln um zu verkaufen, der Kunsthandwerker soll als Kulisse da stehen, der Gemütlichkeit beim Glühweintrunk wegen. Dafür kassieren die Städte noch Standgebühr, anstatt für diese Statistenleistung zu zahlen.
Auch das Niveau der Weihnachtsmarktbesucher scheint von Jahr zu Jahr zu sinken. Da werden Kerzenständer als Pyramide bezeichnet, künstliche Vanille als echt empfunden. Der Kunsthandwerker sitzt dabei in seiner festlich dekorierten Bude, als Requisit für den billigen Glühweingenuss.
Und auch die Standbesitzer sind einander nicht immer grün. Schausteller blicken auf die Kunsthandwerker mit ihren selbstgestrickt aussehenden Wollpulvern herab. Sie sind in ihren Augen Freaks. Kunsthandwerker schauen ihrerseits auf Schausteller herab, die ihnen mit ihrer derben Ausdrucksweise und rüden Umgangformen missfallen. Obwohl die goldenen Umsatzjahre vorbei sind, wird, und das ist das große Geheimnis des Weihnachtsmarkts, noch immer gut verdient. An Kerzen, Socken - und natürlich am Glühwein. Na denn, Prost!
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