Aus dem Magazin taz FUTURZWEI : „Ich wollte nie Wut werden“
Eine aktivistische Schule geht davon aus, dass Wut der Motor für Veränderungs-Engagement ist. Nein, sagt Jagoda Marinić im taz-FUTURZWEI-Interview. Wut sei eine zersetzende Kraft, die die frisst, die wütend sind.
taz FUTURZWEI | Es reicht nicht, Gemeinsinn zu haben, also Engagement für etwas, was über einen oder die Familie hinausgeht. Es braucht eine Methode, wie man aus Gemeinsinn erfolgreiche Projekte macht. Jagoda Marinić hat etwas entwickelt, das sie „sanfte Radikalität“ nennt. Statt „Radikalität nur dafür zu nutzen, jene verbal anzuprangern, die anders denken“, hat sie mit dieser Methode ein Projekt wirklich umgesetzt, gegen alle Widerstände. Genau gesagt: das Interkulturelle Zentrum in Heidelberg, mit dem „die Einwanderungsgesellschaft strukturell neu gedacht“ wird.
Also die Sache nicht auszulagern in ein Fördervereinsprojekt und damit in eine parallele und befristete Struktur, sondern es zum dauerhaften Teil der kommunalen Verwaltung zu machen. Zunächst allerdings blockierten manche Verwaltungsbeamte die Veränderung. Sie wollten keinen Wandel. Heidelberger Bürger zischten: „Niemand braucht deine Migrantenschrotthalde.“ Es bestand die Gefahr, dass Marinić selbst zum Wutkörper werden würde. Doch dann erkannte sie, dass sie der Aggression und Verweigerung damit nicht beikommen konnte.
taz FUTURZWEI: Aktivisten, Feministinnen, Progressive vertreten gern die Idee, dass am Anfang des sozialen Wandels Wut über „die Verhältnisse“ stehen müsse als dynamisierende und schöpferische Kraft. Sie verwerfen in Ihrem neuen Buch Wut und entwickeln das Konzept der „sanften Radikalität“, mit dem Sie in Heidelberg einen Change-Prozess gegen Widerstände erfolgreich vorangebracht haben. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit Wut?
Jagoda Marinić: Das war ein Lernprozess. Ich hatte die Wut schon auch verinnerlicht. Seit Pink Floyds Songzeile „We don't need no education“ spätestens spürte ich wie viele, dass Institutionen auch unterdrücken und einschränken können. Im Rebellischen gefällt man sich ja auch. Vor zehn Jahren etwa wurde es dann schick, die zweite Generation, also Einwandererkinder, in Ministerien und Kulturveranstaltungen einzuladen zur simulierten Wutenladung.
Sie gingen dann als Schriftstellerin und wütende Tochter kroatischer Einwanderer da hin?
Ja. Wir durften unsere Thesenbücher präsentieren und einige sollten ein bisschen „Kartoffel“ sagen. Und dann klatschten die bürgerlichen Deutschen ohne Migrationshintergrund und meinten, sie hätten gezeigt, wie tolerant sie sind, konnten stolz sein auf sich, weil sie es sich angehört hatten. Sie verließen dann zufrieden den Saal und änderten letztlich strukturell nichts. Ich hatte schnell das Gefühl, ich werde zu solchen Veranstaltungen einbestellt, um die Wutdemonstration über gesellschaftliche Missstände abzuleisten. Meine Wut ist dabei letztlich ihr Feigenblatt. Man hatte auf diese Weise ein paar prominente Wütende, über die dann gern berichtet wird, und je wütender, desto besser und authentischer – und natürlich, desto toleranter diejenigen, die dieser Wut Raum gaben. Rückblickend muss man sagen, dass diese folkloristische Instrumentalisierung über die Folgen gesellschaftlicher Missstände wenig verändert hat. Alles bleibt wie davor. Das liegt aber auch an den Wütenden.
Was machen die Wütenden falsch?
Die Wütenden nutzten die Bühnen und spielten das mit, sie fordern jedoch selten eine Übersetzung in den bürokratischen Apparat, der eben mit Wut nicht zu managen ist. Da braucht man analytische Kraft und Beharrung.
Sie waren damals aber schon wirklich wütend?
Ja, klar. Ich gehörte zu den Wütenden und habe mich nach einigen Abenden aber gefragt: Warum beklatschen die eigentlich meine Wut so, statt sich angefasst zu fühlen? Warum ist meine Wut so harmlos, so billig zu haben? Wenn ich jemanden richtig treffen würde, dann fände er das ja nicht mehr geil. Offenbar traf die Wut aber nicht richtig. Ihr fehlte jeglicher Wille zur Macht und Anspruch an wirkliche Veränderung. Gleichzeitig geriet man selbst in so einen Wutkörper, ohne noch sehen zu können, wo die Stellschrauben für reale Veränderung sind. Interessant fand ich: Die älteren Generationen, die richtigen Einwanderer, die etwa im Integrationsprojekt in Heidelberg aktiv waren, also jene Einwanderer, die wirklich anfangs kaum Rechte hatten, die Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen als Gemeinte erlebt hatten ...
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°31: GEMEINSINN
Gemeinsinn gilt manchen als gut gemeint, salonlinks oder nazimissbraucht. Kann und wie kann Gemeinsinn zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen?
Mit Aleida Assmann, Armin Nassehi, Barbara Bleisch, Florian Schroeder, Jagoda Marinić, Wolf Lotter, Heike-Melba Fendel, Florence Gaub, Paulina Unfried, Tim Wiegelmann und Harald Welzer.
Erscheint am 10. Dezember 2024.
... rassistische, ausländerfeindliche und gewalttätige Ausschreitungen Anfang der 90er ...
... die waren meistens total erpicht auf Gesetze, auf Rechte und Gelder. Meine Generation war dagegen interessiert an Begriffen, Medien und Talkshows. Konkrete Politik und Umsetzung in Verwaltungen ist halt nicht so instagrammable. Vorlagen zu lesen ist nicht glamourös. Gremien sind nicht glamourös. Die alte Forderung der Immigranten, nach dem kommunalen Wahlrecht ist fast vergessen, seit wir über Begriffe diskutieren. Dabei haben wir bald zwölf Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte und ohne Wahlrecht in Deutschland, mehr denn je. Allein dadurch gibt es ein Demokratiedefizit, das aber im Gegensatz zu früher kaum mehr Thema ist.
Wie kamen Sie von der Wut zu Ihrem Konzept der sanften Radikalität?
Als ich einsah, dass ich Teil einer Wutperformance war, die zwar authentisch war, die aber zwei Haken hatte: Zum einen forderte sie eben keine messbare Übersetzung in den bürokratischen Apparat. Zum anderen: Diese Wut zersetzt dich selbst. Sie frisst dich auf, jedes Ereignis wird durch die Wutbrille interpretiert. Ich habe Literatur dazu gesucht und vor allem viel Toni Morrison gelesen, weil sie als Literatin und Nobelpreisträgerin eine Sprache gefunden hatte für die Geschichte der Schwarzen in den USA, ich dachte, sie müsste etwas zu sagen haben über den Umgang mit ihrer Wut, und das hatte sie. Morrison hat gesagt: „I have no use for anger whatsoever.“
Ich kann Wut in keinerlei Hinsicht gebrauchen.
Das gilt gerade heutzutage, da der Algorithmus der soziale Medien Wut kapitalisiert, die eigene Wut provoziert, um auch in anderen Wut zu steigern. Wir steigern uns so gegenseitig rein. Personalisierte Emotionalisierung verändert nur nichts. Außer dass die Energie wie zum Selbstzweck durch den Durchlauferhitzer geht. Toni Morrison sagte stattdessen, sie brauche die Klarheit ihres Verstandes, um die Missstände genau zu erkennen und zu wissen, was sie verändern will. Die Wut sehe ich heute eher als Seismograf. Sie ist wie mein McKinsey, der sagt: Hier ist eine Schwachstelle, hier musst du nochmal rein. Das mache ich dann, aber in Ruhe.
Wie bringt man Leute zum Mitmachen, die mit Wut auf den Wandel reagieren oder einfach nicht wollen?
Wir reden miteinander, und der andere blockiert. Dann suche ich nach anderen Ich-Qualitäten. Wir sind an einem Tag viele Rollen, eine Beamtin ist ja vielleicht auch Mutter, Schwester, Kulturliebhaberin. Welche Ressourcen habe ich, um eine Verbindung zu finden? Wenn ich selbst nur die wütende Tochter von Einwanderern bin, kann es schwierig werden. Ich bin aber mehr und suche von dort aus Bündnisse statt Gegnerschaften. Die Frage ist also: Wie kommen wir von der blockierenden Identitätsfacette in Aggregatzustände der Kooperation? Mir geht es gerade innerhalb der Verwaltung um den Kampf für das Gemeinsame.
Jagoda Marinić ist Schriftstellerin, Publizistin, Moderatorin (Das Buch meines Lebens auf Arte) und Podcasterin (Freiheit Deluxe)
Der teilgesellschaftliche Trend geht derzeit eindeutig zu Wut.
In der Wutidentität verhärten: Damit nimmt man sich selbst die Komplexität der eigenen Identität. Meine Eltern waren als Einwanderer positiv, sie haben versucht, das Gute zu sehen. Und ich konnte das als Wutkörper nicht, obwohl ich dank meines Bildungsaufstiegs die Ressourcen hatte, zu gestalten. Um wirkmächtig zu sein, eine Politik der Teilhabe zu ermöglichen, brauchen wir Ruhe und Analysekraft. Ich will nicht in der Wut verharren. Erstens, weil es mir innen nicht guttut, zweitens, weil ich glaube, dass sie kein Change-Motor für das Außen ist. Wut als Kontrastmittel, ja, aber sich in den Superlativ von Wut hineinsteigern ist destruktiv. Es gibt dann keine Nuancierung mehr, sondern nur eine Freund-Feind-Unterscheidung. Man kann Wut spüren, aber ich wollte nie Wut werden. Ich wollte mir die Sanftheit bewahren.
Sie sagen, dass Wut nicht konstruktiv ist und die Opferrolle auch nicht. Sie sehen aber auch, dass wir in einer Mediengesellschaft leben, in der starke persönliche Emotionen die harte Währung sind. Sanfte Radikalität kann doch kein Algorithmus brauchen.
Warten Sie mal ab: Ich kriege zu meinem Buch sehr viel Rückmeldung und die ist auch sehr emotional. Wenn wir also über Emotionalität reden, ist die Frage auch: Welche Emotion? Brauchen wir Empörung und Wut oder nicht eher Lösungslust und Hoffnung? Letztere haben auch emotionale Auswirkungen, sie binden Aufmerksamkeit. Wer Diskurse wirklich ins Konstruktive befördern will, kommt nicht mit negativer Emotionalität durch.
Gerade unsereins hat dank Adorno immer einen negativen Blick auf alles.
Ja, wir wollen immer kritisch denken und wirken, weil wir gelernt haben, unsere Intelligenz so zum Ausdruck zu bringen. Ich habe als Autorin früh festgestellt, dass es vielen Menschen hier nach Veranstaltungen leichter fällt, darüber zu sprechen, was nicht gut lief oder keinen Sinn machte. Bei einer Lesereise in den USA fiel mir dann auf, dass es auch anders geht. Dort kamen die Leute und wollten über einzelne Gedanken sprechen, sie weiterentwickeln. Ich glaube, dieses öffentliche Gespräch anders zu führen, ist ein gesellschaftlicher Lernprozess, den wir jetzt brauchen.
Was setzen Sie dem Negativismus entgegen?
Die Frage ist: Wie verbinde ich die Emotionen, die viele Rechte derzeit in Wut lenken, mit der Lust, etwas zu lösen? Sehen Sie sich mal Bilder von rechten Demos an: Die Leute fühlen sich nur noch über diesen kollektiven Wutkörper. Dazu muss es eine Gegenwelt geben. Und die gab es auch zu den besten Zeiten von Fridays for Future. Die meisten Politiker an der Macht unterschätzen derzeit das Mobilisierungspotenzial von Lösungen und guten Emotionen. Wenn es nur Angstszenarien gibt und die anderen positiven und liebevollen Verbindungen untereinander nicht bedacht und gefördert werden, dann entsteht Politikverdrossenheit, der Zug nach rechts außen. Ich denke, dass noch immer Zeit ist, gegenzusteuern, zu lernen, wieder die Agenda zu setzen, statt die Angstmacher nachzuahmen und ein Gestern zu versprechen, das für die Probleme von heute und morgen keine Lösungen bereithält.
■ Dieser Artikel ist im Dezember 2024 in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°31 mit dem Titelthema „Gemeinsinn“ gibt es jetzt im taz Shop.