■ Aus dem Campingzelt des Erich-Ollenhauer-Hauses: Heißer Sommer bei der SPD
In ambitionsgerechter Doppelfunktion, als treusorgender Landesvater wie als heimlicher VW-Boß, präsentierte sich Gerhard Schröder zum Fußball-Pokalfinale Wolfsburg gegen Gladbach im Berliner Olympiastadion. An der Seite Roman Herzogs und solidarisch mit den sozial Schwachen aus der Zweiten Liga war ein großes Wochenende geplant. Doch während sich der Niederbayer Herzog an der torbringenden Flanke seines Landsmannes Kastenmaier erfreuen konnte, spielten die niedersächsischen Außenseiter derart ruppig, daß sie am Ende noch nicht einmal mit einem Mitleidsbonus rechnen durften.
Wie man einen solchen zu produzieren und zu nutzen versteht, bewies statt dessen erneut Amtsinhaber und Schröder-Gegner Rudolf Scharping. So mit dem Rücken zur Wand und doch nicht erledigt! Am Wochenende, als Heide Simonis den Brandt-Enkel als wahren Vogel-Sohn decouvrierte und Petra Roth in Frankfurt inmitten gar schrecklicher Gestalten zu jubeln begann, da hätten viele kaum mehr einen Kohlepfenning auf den SPD-Chef gewettet.
Trotz der heftigen Debatten um Energiekonsens, Kriegseinsatz und Koalitionspräferenz – Scharping ist vor allem in die Schußlinie geraten, weil er sein großes integratives Plus gegenüber dem mediengewandteren Widersacher eingebüßt zu haben scheint. Wo ein Tranquilizer nichts mehr zu bewirken vermag, liegen die Nerven blank, brechen alle möglichen Konflikte aus: zwischen Fraktion und LandesfürstInnen, zwischen Interventionisten und Mutlanger Klampfenschwingern, zwischen Sozialpolitikern und Deregulierern, zwischen Seeheim und Hessen-Süd, im Osten zwischen PDS-Schädlingsbekämpfern und Bündnisspekulanten, schließlich zwischen Rot-Grün und Rot-Schwarz, rot-grünen Hardlinern und rot-grünen Weichzeichnern. Und immer wieder: zwischen Schröder und Scharping!
Doch wie immer überzog Gerhard Schröder auch dieses Mal. Scharping hieb zwar so ungeschickt auf den Tisch, daß er als CSU-Amtsinhaber vermutlich auf einem schleunigst einberufenen Sonderparteitag abgestreibelt worden wäre. Nicht so unter dem Campingzelt des Erich-Ollenhauer-Hauses, wo schon lange keine Grenze mehr zwischen Solidarität und Selbstmitleid zu existieren scheint.
So distanzierte der angeschlagene Vorsitzende Schröders Großattacke, indem er den illoyalen Kontrahenten erneut in die Rolle des Sündenbocks drängte, es in der Sache mit der Parteimehrheit hielt und sich von LeidensgenossInnen den Rücken stärken ließ – von Wieczorek-Zeul (Frankfurter OB- Debakel) und von Thierse (gezielte Attacke im neuesten Focus).
Derweil erinnerte die Süddeutsche Zeitung Scharping daran, daß sich die Kunst, „mit intellektueller Selbstverleugnung einen Parteitag zu überstehen“, beim Wahlvolk nicht auszahle. Den nächsten Parteitag in Mannheim dürfte er zumindest nach seinem Punktsieg über den niedersächsischen Herausforderer schon halbwegs geschafft haben. Denn Schröder ist nicht nur illoyal, sondern auch hemmungslos unsolidarisch. Als die unterlegenen Wolfsburger Endspielkicker im Berliner Olympiastadion an der Ehrentribüne vorbeizogen, war von einem trostspendenden Landesvater nichts mehr zu sehen. In ähnlicher Situation hat Schröders Vorbild Helmut Kohl deutschen WM-Fußballern schon populistische Brüderküsse verpaßt. Norbert Seitz
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