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Archiv-Artikel

Aus dem Abseits

Eintracht Fuhlsbüttel ist eine der ältesten Gefängnis-Fußballmannschaften in Deutschland. Und nach dem Willen ihrer Trainer eine Schule für Fairness und Disziplin. Jahrelang war sie Tabellenführer in der Hamburger Kreisklasse. In dieser Spielzeit wird sich erstmals zeigen, ob zurecht

von FRIEDERIKE GRÄFF

Manche Sätze dürfen nur Philosophen und Fußballtrainer sagen. „Das Leben ist eine Zusammenfügung von Augenblicken“, sagt Gerd Mewes also. Und vielleicht ist es so auch mit seiner Mannschaft, Eintracht Fuhlsbüttel, der Hamburger Gefängnismannschaft. Eine Zusammenfügung von guten und nicht so guten Augenblicken, mehr ist nicht zu wollen und erst recht keine Statistik über die resozialisierende Wirkung des Fußballspielens.

„Diese Menschen gehören zum Kaffeesatz der Gesellschaft, es lohnt sich nicht mit allen, aber mit einem großen Teil“, so sagt es Gerd Mewes. Jetzt stehen sie zu dritt nebeneinander, Stone*, der Aushilfs-Schiedsrichter und Gerd Mewes und ab und zu schreien sie den Spielern etwas hinterher. „Du bist ein guter Spieler, was kickst du nicht?“, sagt der Schiedsrichter zu Stone, einem dünnen, unruhigen Mann in Trainingsanzug. „Das war so ein schleimiger Beamter, niemand hat mich aus der Zelle geholt“, sagt Stone. Und zu denen, die noch nicht Bescheid wissen: „Ich war vor vier Jahren da, jetzt bin ich leider wieder drin.“

Gerd Mewes wirkt nicht überrascht, aber er ist nicht der Typ, dem man es jemals anmerken würde, vielleicht schützt ihn die berufliche Kombination aus Fußballtrainer und Sozialarbeiter davor. „Ich bin nicht froh, ihn hier wieder zu sehen“, sagt er. „Aber er war einer der Leistungsträger.“ Dann betrachtet er Stone und sagt: „Du bist auch älter geworden.“

Gerd Mewes trainiert Eintracht Fuhlsbüttel, die Mannschaft der Hamburger Justizvollzugsanstalt, seit 28 Jahren. In dieser Saison wird sich herausstellen, warum sie immer wieder Tabellenführer in der Kreisliga sieben waren. Bislang war nicht wirklich zu erkennen, ob das daran lag, dass sie gute Spieler hatten oder daran, dass die Gegner oft mit der zweiten, dritten Auswahl oder am Ende gar nicht mehr kamen. Denn bis zu dieser Spielzeit wurde die Tabelle am Ende der Saison um die Fuhlsbüttel-Spiele bereinigt.

Während des Trainings am Mittwoch Nachmittag haben die anderen Häftlinge Hofgang. Einzelne Gruppen umrunden das Oval des Platzes, man hört Russisch, Arabisch, sieht junge Männer in Turnschuhen, Jogginghose und Baseballkappe, aber auch einzelne ältere Männer, eigentlich Herren. Die Spieler von Eintracht Fuhlsbüttel kicken schon einmal ein bisschen. Unter einer Bank beim Tor steht eine Flasche Milch, der Torwart schießt gerade ein Tor und ruft einem anderen zu: „Guckst du und lernst du.“ Dann beginnt das Training, das eigentlich mehr ein freies Spielen ist. Manchmal übten sie auch Pässe, sagt Mewes. Aber die wenigsten Spieler haben Vereinserfahrung, sie sind es nicht gewohnt, sich mit Gymnastik und Läufen aufzuhalten.

Das war bei der Gründung anders. Damals baten die Spieler der JVA darum, dass einmal ein richtiger Trainer bei ihnen vorbeikäme. Günter Grothkopp, der 1980 Verbandssportlehrer beim Hamburger Fußballverband war, erreichte die Anfrage. Er las damals in den Zeitungen viel über die Idee des humanen Strafvollzugs und ein gut organisiertes Fußballtraining schien ihm ein ordentlicher Beitrag dazu zu sein. Er begann es gemeinsam mit seinen Trainerkollegen Seppl Weiß und Gerd Mewes; Weiß und Grothkopp zogen sich erst zurück, als sie weit in den 70ern waren. „Das Gruppendynamische ist das Interessante“, sagt Grothkopp. Das Dynamische bestand immer wieder darin, dass einzelne Nationalitäten versuchten, ihre Spieler in die Mannschaft zu bringen. Es bestand zu Zeiten der großen Kurdenkonflikte in der Türkei darin, dass türkische und kurdische Spieler nicht in einer Mannschaft spielen wollten. Es besteht darin, dass einige Spieler aus bandenähnlichen, streng hierarchischen Gruppen kommen. „Es gibt kein Zusammenspiel zwischen den einzelnen Mitgliedern“, sagt Grothkopp, der wie Mewes Nüchternheit mit einem gewissen praktischen Ethos verbindet. Sie wollen eine Mannschaft, eine „konstruktive Gruppe“, wie Grothkopp es nennt, daraus machen. Eine die Regeln einhält, den Ball abgibt.

„Das ist doch Scheiße hier!“, schreit Mewes am Spielfeldrand. „Ich habe eine halbe Stunde keinen Ball gekriegt“, mault ein Spieler. „Ich schenk’ dir einen“, ruft Mewes. „Da bleibt er stehen, er müsste durchlaufen“, klagt Frank Schäfer, der zweite Trainer, der hauptberuflich in der medizinischen Ambulanz arbeitet. Die Trainer rufen selten Namen, überhaupt scheint es weniger um einzelne Spieler als um das Spiel zu gehen. Keiner der Trainer hat sich je danach erkundigt, warum die einzelnen Spieler im Gefängnis sind. Sie hören zu, wenn die Männer es erzählen, aber eigentlich spielt es keine Rolle. Es ist ihnen, anders als den Zeitungen, gleichgültig, dass der Terrorist Motassadeq mitspielt. Er spielt gut und er möchte nicht mit den Journalisten sprechen.

Eine Rolle spielt, dass der rundliche Spielmacher, der seit 14 Jahren dabei ist und auch keine Lust hat, mit Journalisten zu sprechen, noch nicht wieder in Form ist. Eine Rolle spielt, dass einer der Spieler keine Zehen mehr hat, weil sie abfroren und dennoch unglaublich präzise Flanken spielt. Bislang gab es nur eine Mannschaft, aus dem feinen Winterhude, die sich grundsätzlich weigerte gegen Eintracht Fuhlsbüttel anzutreten. „Wir spielen nicht gegen Kinderschänder“, haben sie wissen lassen. Die Mannschaft Hammonia wollte so dringend gegen Eintracht Fuhlsbüttel spielen, dass sie deswegen die Staffel gewechselt haben. Einer der Spieler sagt es direkt: „Wir sind sensationsgeil.“ Die Spieler von Hammonia, was der alte Name für Hamburg ist, sind im Schnitt zehn Jahre jünger als die von Fuhlsbüttel, sie kommen aus der Schanze, dem hippen Ausgehviertel Hamburgs, sie haben Arbeit und gerade mal zwei sind nicht deutschstämmig. Fuhlsbüttel ist das andere Hamburg. Es gibt einen deutschen Spieler und dass die Spieler vorher im Schanzenviertel gelebt haben, ist gelinde gesagt unwahrscheinlich.

„Kommen eure Spieler alle aus Anstalt zwei?“, fragt der Hammonia-Trainer Frank Schäfer. „Ja“, sagt der. „Sie sind alle etwas länger hier.“ Vor den Spielen nimmt er die Auswärtsmannschaften in Empfang, er erklärt, dass sie keine Spraydosen und verschlossenen Flaschen in die JVA bringen dürfen, aber vor allem will er ihnen nahe bringen, dass, und jetzt stellt er sich breitbeinig hin und klopft in die Faust, „die Verbrecher nicht so dastehen und sagen: ,Jetzt seid ihr fällig‘“.

Der Mannschaftskapitän, ein Südamerikaner, 43 Jahre alt und überaus höflich, sagt, dass seine Mannschaft die Gegner „beruhigen will“. Dass es darum ginge, Manieren und Disziplin zu lernen. Und dass er damals, als er noch frei war und er selbst eine Fußballmannschaft trainierte, den Sohn des Managers rausschmiss, weil der es an Disziplin habe fehlen lassen.

Das Spiel zwischen Hammonia und Eintracht ist grottig. Hammonia spielt zögerlich und Eintracht macht aus seinen Chancen nichts. Es endet 0 : 0. Gerd Mewes wird am Spielfeldrand so zornig, dass ihn die Zuschauer mitleidig betrachten. Der Schiedsrichter spricht von „Not gegen Elend“ und sehnt sich nach der Schönheit der Altherrenspiele. Hinterher sagen die Hammonia-Leute, dass sie sehr zufrieden mit dem Unentschieden seien. Und dass Fuhlsbüttel einige sehr gute Spieler habe.

Die Sensation ist ausgefallen. Nur eine Gruppe osteuropäischer Zuschauer hat einen der Hammonia-Spieler gefragt, ob er Pole oder Russe sei. Nein, sagte er. „Wenn ihr gewinnt, gibt es einen Schuss“, haben sie dann gesagt. „Sicher ein Joke“, sagt der Hammonia-Mann.

* Name geändert