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Archiv-Artikel

Aus Zufall überlebt

Er sollte sich in der türkischen Drogenhändlerszene umhören, dann ließ ihn das LKA fallen. In der Türkei wird ihm dies zum Verhängnis

Ohne Argwohn beantragt er 2006 seine Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft. Dabei werden die Beamten im Türkischen Generalkonsulat auf ihn aufmerksam

VON CHRISTIAN FUCHS

Die Hölle dauerte drei Jahre. So lang saß Sener Ceplan* aus Hürth bei Köln in türkischen Gefängnissen und musste dafür büßen, dass er die deutsche Polizei im Kampf gegen die Drogenmafia unterstützt hatte.

Sein Leben lag die letzten Jahre in fremden Händen. Weil er immer das Richtige tun wollte, wurde er zum Opfer. Jahrelang vegetierte Ceplan in überfüllten Zellen, 100 Häftlinge mussten sich 100 Quadratmeter und zwei Toiletten teilen. Er überlebte tagelange Gefangenentransporte in Eisenketten und Schlafstellen auf dem Betonboden. Seine fünfte Strafanstalt ist das Hochsicherheitsgefängnis Bolu in der gleichnamigen Provinz im Norden des Landes. Aus dem Knast schreibt er Briefe voller Angst nach Hause: „Ob du lebst oder stirbst, interessiert keinen. Hier zu überleben ist Zufall.“ Am Sonntag vor zwei Wochen wurde Ceplan überraschend von den türkischen Behörden freigelassen – nach über drei Jahren im türkischen Knast.

Gelungene Integration

Seine haarsträubende Geschichte beginnt 1993. Da arbeitete er noch nachts an der Autobahntankstelle Ville-Ost bei Hürth. Eigentlich interessiert er sich aber für Naturwissenschaften, liest nachts Astronomiebücher und bringt sich vieles im Selbststudium bei. Sein Lieblingsautor ist Stephen Hawking, „Das Universum in der Nussschale“ und „Eine kurze Geschichte der Zeit“ liest er in einsamen Tankstellen-Nächten sogar mehrmals. Damit es seine Kinder später besser haben, will er ihnen ein Studium ermöglichen. Dafür sparen er und seine Frau jeden Pfennig. Und darum vermittelt er nebenbei tagsüber Gebrauchtwagen an türkische Autohändler, kümmert sich um den Papierkram und besorgt Fahrer, die die Autos in die Türkei bringen.

Sein Leben könnte als Beispiel für eine geglückte Integration herhalten: 27 Jahre ist er mit seiner deutschen Ehefrau verheiratet, spricht fließend Deutsch, beide Kinder gehören zu den Besten am Gymnasium. Seine 18-jährige Tochter spielt in einer Theatergruppe, sein Sohn studiert an der Bundeswehr-Universität in Hamburg.

Eines Tages erscheint ein unbekannter Türke bei ihm, der einen Fahrer sucht. Zuerst hilft er ihm einen Chauffeur für den Reisebus des Türken zu finden. Nach einigen Tagen offenbart sich der Unbekannte, er sucht in Wirklichkeit einen Drogenkurier. Daraufhin bittet Ceplan einen deutschen Freund, die Polizei zu informieren. Er selbst hat zu große Angst, mit der deutschen Polizei in Kontakt zu treten und selbst für einen Drogenhändler gehalten zu werden. Hüsnü Görenek, der Unbekannte, war wohl durch einen alten Freund Ceplans aus dessen Heimatstadt Adana an ihn verwiesen worden. Aufgrund seiner Bekanntschaft mit den beiden wird Sener Ceplan 1995 vom LKA verhört. Er sagt alles aus, was er über seinen alten Bekannten und den mysteriösen Unbekannten weiß. Aufgrund seines Hinweises wird der Heroindealer Görenek wenig später an der Grenze festgenommen. Das Ermittlungsverfahren gegen Ceplan wird eingestellt – unter der Bedingung, dass er als regelmäßiger Informant für die deutsche Polizei arbeitet. Seine Aufgabe: Kontakt zu seinem alten Bekannten aus Adana halten und sich unauffällig in der Türkenszene des Rheinlands nach Drogenhändlern umhören. Das bestätigt auch ein Fahnder aus dem Landeskriminalamt in Köln gegenüber der taz. Später wird Tankstellenwächter Ceplan zu Protokoll geben, er habe alles getan, was die Polizei von ihm wollte. Aus Angst und Respekt vor den deutschen Behörden.

Bis 1998 liefert Ceplan darum auf Bitten des LKA immer wieder Telefonnummern, Namen und Informationen über mögliche Drogentransporte. Ihm selbst war diese Aufgabe von Anfang an nicht geheuer. Er suchte nach einer Möglichkeit, die Zusammenarbeit zu beenden, allein, weil er sich bis heute sicher ist, das sein Telefon während seiner V-Mann-Zeit vom LKA überwacht wurde. In einer „eidesstattlichen Versicherung“ betont er später, dass er da „in eine Sache reingeraten“ sei und es Jahre gedauert habe, bis er wieder herauskam. Das LKA wird jedoch behaupten, es habe Ceplan „abgeschaltet“. Der Fahnder sagt, dass das Vertrauensverhältnis gebrochen sei. Der türkische V-Mann sei angeblich an eine andere Polizeidienststelle herangetreten, weil er sich dort höhere Informantenhonorare versprach. Dem widersprach Ceplan gegenüber der taz aus dem türkischen Gefängnis: „Das ist Schwachsinn, ich habe mich vom LKA distanziert, nicht sie sich von mir. Frau H. hat mir sogar noch angeboten, für sie in der Kölner Szene zu arbeiten. Aber ich habe abgelehnt.“

Zehn Minuten Verfahren

Während Ceplan dem LKA zuarbeitet, ermittelt die türkische Polizei und nimmt 1995 – ohne deutsches Wissen – Mitglieder eines türkischen Heroinhändlerringes fest, der auch vom LKA in NRW beobachtet wird. Unter Folter nennen die zwei Bandenmitglieder Yilmaz T. und Abidin Ö. den Hürther Familienvater als deutschen Hintermann. Seinen Namen kannten sie durch Ceplans alten Bekannten aus Adana. 2006 werden Yilmaz T. und Abidin Ö. ihre Aussagen notariell widerrufen: Um an ihre Aussagen zu kommen, wurden ihre Körper und ihre Penisse unter Strom gesetzt, wurden sie mit Stöckern und Gürteln geschlagen und ihnen Zähne mit einer Zange ausgerissen – ohne Betäubung.

Die belastenden Anschuldigen gegen den Deutschtürken Sener Ceplan sind unter äußerst zweifelhaften Umständen entstanden, in den türkischen Akten steht nun jedoch sein Name. Dazu kommen Ermittlungsakten der deutschen Polizei, die türkische Gerichte angefordert hatten, um Gerichtsverfahren gegen deutsch-türkische Drogenschmuggler-Banden vorzubereiten. Auch in diesen Akten steht der Name Sener Ceplan – aufgrund seiner V-Mann-Tätigkeit. All das weiß der Beschuldigte nicht. Ohne Argwohn beantragt er zehn Jahre später 2006 seine Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft. Dabei werden die Beamten im Türkischen Generalkonsulat in Köln auf ihn aufmerksam und bitten Deutschland, Ceplan über Interpol festnehmen.

Am 26. März vor drei Jahren gerät das Leben des Tankwartes aus dem Rheinland aus den Fugen. Während er auf einem Schrottplatz in Köln nach Ersatzteilen für sein Auto sucht, klingeln vier muskelbepackte Polizisten an der Tür seines Hauses. Als Ceplan eine halbe Stunde später nach Hause kommt, wird er auf der Stelle festgenommen. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln folgt dem türkischen Ansuchen und liefert Ceplan aus. Der taz liegt die „eidesstattliche Versicherung“ eines Belastungszeugen vor, dass seine Aussagen in der Türkei unter Folter erzwungenen wurden. Diese Versicherung klassifizierte das Gericht als „nicht glaubhaft“. Ceplans Arbeit als Informant wurde nicht geprüft, in den Beschlüssen des OLG findet sich kein Hinweis darauf. „Wegen der unbestimmten Behauptungen des Verfolgten gab es auch gar keinen Anlass hierfür“, erinnert sich die Senatsvorsitzende Richterin Elisabeth Doleisch von Dolsperg. Zudem sei die Türkei in den vergangenen Jahren bemüht, völkerrechtliche Verpflichtungen einzuhalten. Anwalt und Ehefrau von Sener Ceplan glauben jedoch, dass Deutschland seine diplomatischen Beziehungen zum EU-Kandidaten Türkei wichtiger waren als die genaue Prüfung eines Einzelfalls. Das OLG mischte sich nicht in die Bewertung des Falles ein und übergab das Problem durch Ceplans Auslieferung einfach an die Türkei. Im Abschlussbericht des Auslieferungsverfahrens stellte Richterin Doleisch von Dolsperg 2006 lapidar fest: „Für die Besorgnis, dass ein rechtsstaatliches Verfahren in der Türkei nicht gewährleistet sei, lassen sich nach allem keine genügenden Anhaltspunkte finden.“

LKA sieht keine Schuld

Es kommt ganz anders. In der Türkei dauert das Gerichtsverfahren gegen Ceplan wegen Drogenschmuggels keine zehn Minuten. Als einzige Beweismittel dienen die unter Folter erzwungenen Zeugenaussagen. „Die Belastungszeugen wurden aber nicht eingeladen und auch Herr Ceplan wurde nicht einmal zu dem konkreten Tatvorwurf befragt“, empört sich Amke Dietert. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen ist Prozessbeobachterin für Amnesty International in der Türkei. Der Hinweis von Ceplan, für die deutsche Polizei gearbeitet zu haben, wird nicht geprüft, der Antrag seines Anwalts abgelehnt. „Dies alles ist, auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ein gravierender Verstoß gegen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens“, sagt Expertin Dietert.

Amke Dietert und der Kölner Rechtsanwalt Wolfgang Mengen engagierten sich lange Zeit im „Fall Ceplan“. Sie schrieben Briefe an Minister, reisten in die Türkei und bezahlten der Familie einen türkischen Anwalt, der den Fall wegen der vielen Ungereimtheiten vor den Europäischen Gerichtshof bringen will. Dass Ceplan jetzt freigelassen wurde, ist ihr Erfolg.

Offiziell sieht das LKA bis heute keine Schuld darin, ihren ehemaligen Informanten nicht unterstützt zu haben. Der LKA-Fahnder, der aufgrund seiner Tätigkeit anonym bleiben will, erkennt zwischen den Vorwürfen in der Türkei „keinen Sachzusammenhang zu den LKA-Fällen“. Hinter vorgehaltener Hand ließ Ceplans ehemalige LKA-Kontaktbeamtin nach seiner Abschiebung jedoch ihr schlechtes Gewissen erkennen. Seinem deutschem Anwalt vertraute sie ein Bekenntnis an: „Seine Auslieferung war eine tragische Entwicklung.“

*Name redaktionell geändert