Auktionator Robert Ketterer über Kunst: „Der Kunde bestimmt den Preis“
Seit der Finanzkrise steigt die Zahl der Sammler, die in Kunst investieren. Wobei die Summen nicht immer die Qualität des Werks spiegeln, sagt Auktionator Ketterer
taz: Herr Ketterer, wer legt den Preis eines Kunstwerks fest?
Robert Ketterer: Der Käufer. Vor der Auktion kommt der Verkäufer mit seinen Vorstellungen zu uns. Wir kennen sowohl den Markt als auch die Preise und beraten ihn hinsichtlich eines erfolgversprechenden Schätzpreises, den wir gemeinsam festlegen. Dann informieren wir unsere Kunden. Je mehr Interesse haben, desto leichter lässt sich die Schätzung noch steigern. Ein Kunsthändler dagegen legt einen Höchstpreis fest und muss dem Kunden im Zweifel entgegenkommen. In beiden Fällen bestimmt letztlich der Käufer den Preis.
Spielen auch Rezensionen und die öffentliche Meinung eine Rolle?
Ja, und das Marketing: die Präsenz des Künstlers auf Kunstmessen, in Ausstellungen, bei Auktionen. All das ziehen wir heran, um zu sehen, wo für ein vergleichbares Werk das Interesse ähnlich groß war.
Robert Ketterer, 48, ist Geschäftsführer des Auktionshauses Ketterer Kunst mit Dependancen in München, Hamburg und Berlin.
Das klingt nach den Spekulationen der Aktienbörse.
Echte Sammler, und das sind die meisten unserer Kunden, spekulieren nicht vordergründig. Aber jeder Käufer hat immer drei Motivationskriterien: das Gefallen, den Namen und die Möglichkeit eines positiven Investments. Die Gewichtung variiert allerdings: Neben den reinen „Investmentbänkern“ gibt es Kunst-Interessierte mit Sachverstand, die das Gefallen und den Namen des Künstlers in den Vordergrund stellen. Ein Interesse an Wertentwicklung und Stabilität hat aber natürlich jeder.
Dabei ist gar nicht sicher, dass ein Werk seinen Wert behält.
Wie jedes Investment hat auch Kunst ein Risikoelement. Bei dieser Anlageform ist es allerdings geringer, da der Kunstmarkt sehr stabil ist. Die großen Finanzkrisen der 1990er-Jahre führten nur dazu, dass sich Verkäufer nicht so gern von Kunstwerken trennten. Aber Käufer gab es immer. Die Kunst ist also stetig teurer geworden.
Wobei der Markt für Kunst des frühen 20. Jahrhunderts stagniert.
Qualitativ Hochwertiges zu finden, war immer schwer. Gerade bei besagter klassischer Moderne ist das inzwischen ein Problem, weil Hauptwerke einzelner Künstler – etwa Ernst Ludwig Kirchners Straßenszenen von 1914 – nicht mehr auf den Markt kommen, da sie in öffentlichem Besitz sind.
Weichen die Käufer auf andere Epochen aus?
Das 19. Jahrhundert nimmt gerade Fahrt auf. Das Interesse an dieser Epoche, vor 20 Jahren hoch im Kurs, sank in den letzten Jahren. Das ändert sich gerade, weil sich der eine oder andere zu einem attraktiven Preis von seinem hochwertigen Kunstwerk trennt. Das wiederum ruft die Fans dieser Kunstrichtung auf den Plan.
Warum kommt das 19. Jahrhundert gerade jetzt auf den Markt?
Jede Generation kauft die Kunst ihrer Zeit. Das 19. Jahrhundert wurde von unserer Elterngeneration gekauft, wo der Spitzweg quasi zur Wohnungseinrichtung gehörte. Die Nachfrage ist zurückgegangen, weil diese Generation ihre Sammlung abgeschlossen hat. Jetzt steht ein Generationswechsel an, sodass durch Erbschaften wieder Angebote auf den Markt kommen.
Wie wichtig ist den Käufern die künstlerische Qualität?
Früher waren wir Zulieferer für Händler, die ihre Sammler intensiv berieten. Inzwischen haben wir sehr viele Sammler mit großem Kunstverständnis, aber auch Emotionskäufer, die anhand persönlicher Kriterien entscheiden. Da spielt die Farbe eine Rolle, das Thema, vielleicht die Größe – aber natürlich auch die Entstehungszeit. Wir versuchen in unseren Katalogen möglichst viel Information zu liefern und beraten auch individuell. Aber oft ist es am Ende der persönliche Geschmack, der entscheidet, und der Sammler bezahlt für ein Objekt, das er unbedingt haben will, viel Geld. So kommen manchmal Preise zustande, die nur schwer nachvollziehbar sind.
Garantieren Sie den Verkäufern, deren Werke Sie versteigern, einen Festpreis?
Nein, denn das wäre der Anfang vom Ende der Auktionshäuser. Das spüren die großen Versteigerer wie Sotheby’s und Christie’s, die hohe Garantien abgeben. Unsere seriöse Herangehensweise wird vom Markt honoriert. Wir hatten im vergangenen Jahr 30 Prozent Neukunden.
Und Sie haben kürzlich Online-Auktionen eingeführt, die bei einem Euro beginnen.
Ja, ich habe mir das bei Ebay abgeschaut. Letztlich möchte ja jeder ein Schnäppchen machen. Wenn Sie also ein Objekt sehen, das Sie unbedingt haben wollen, und da steht ein hoher Einstiegspreis, ist das erst mal ein Hindernis. Bei einem Euro sieht das anders aus. Denn wenn das Objekt gut ist, gefällt und theoretisch für einen Euro zu haben ist, beißt man an. Und es funktioniert: Wenige Tage, nachdem die Objekte online gehen, haben wir an die 1.000 Gebote.
Was für Werke bieten Sie online an?
Qualitativ Hochwertiges unter 5.000 Euro. Das kann zum Beispiel eine Lithografie von Georg Baselitz oder ein Originaldruck von Gerhard Richter sein.
Und wenn Sie für Baselitz wirklich nur einen Euro bekommen?
Ein Risiko ist immer dabei, und man muss die Kunden natürlich ansprechen. Aber wir hatten zum Beispiel eine Baselitz-Farblithografie, bei der der höchste je gezahlte Preis bei 1.200 Euro lag. Bei unserer Online-Auktion haben wir sie für 4.800 Euro verkauft.
Erreichen Sie online eine andere Käuferschicht?
Ja, auch. Denn dies sind Preise, die eine deutlich größere Anzahl von Kunden anziehen. Ein Werk für 1.000 Euro spricht mehr Menschen an als eins für eine Million. Da sind wir schon in der Massenvermarktung, und dafür bietet sich das Internet an.
Was auch für Sie finanziell günstiger ist.
In der Tat ist der Aufwand online nicht ganz so groß. Objekte für 2.000, 3.000 Euro, die nur wenig Provision abwerfen, schaffen es inzwischen gar nicht mehr in unsere aufwendigen Kataloge. Vor zehn Jahren, als es noch keine Internet-Auktionen gab, gab es für diese Objekte gar keinen Markt mehr. Über das Internet wird er gerade wieder geschaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“