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Aug‘ in Aug‘ mit dem Tiefflieger

■ Werneuchen wehrt sich gegen sowjetische Tiefflieger / Das Städtchen liegt direkt unter der Einflugschneise

Werneuchen. Wieviele Soldaten es sind, die auf dem sowjetischen Flugplatzgelände am Stadtrand stationiert sind, wissen die Werneuchener natürlich nicht; solche Kenntnisse grenzten bisher an Spionage. Den Rotarmisten, die hinter Betonmauern und rostigen Stacheldrahtzäunen in 1936 errichteten, baufälligen Kasernengebäuden hausen, sind Kontakte mit den Ortsansässigen verboten; erst seit Gorbatschow dürfen sich wenigstens die Offiziere unter das Volk mischen. Weil es auf keiner Karte verzeichnet ist, ist den Anwohnern sogar unbekannt, wieviele Hektar das Areal umfaßt. Und selbstverständlich haben die Werneuchener keine Ahnung, was die Jagdbomber vom Typ MiG 25 und MiG 26 bei ihren Übungsflügen transportieren.

Eins allerdings wissen die 3.000 Bewohner des Städtchens nordöstlich von Berlin ganz genau: Ihr Ort - einschließlich Kinderkrippe, Kindergarten und Tankstelle - liegt unmittelbar unter der Einflugschneise des Militärflugplatzes. Weil er direkt am Stadtrand liegt, donnern die Maschinen so tief über die Dächer und Baumwipfel des Städtchens, daß seine Bewohner oft sogar die Gesichter der Piloten erkennen können. Gegen den ohrenbetäubenden Lärm der Tiefstflieger und die Gefahr eines Absturzes der „schwerbewaffneten Bombenflugzeuge“ über der Stadt wollen sich die Werneuchener jetzt wehren: 1.500 Unterschriften kamen zusammen, als die örtliche SPD Anfang Mai für einen Abzug der Truppen trommelte; ihr Ortsverein und der von den Sozialdemokraten gestellte Bürgermeister Werner Garbsch ließen die Listen am Dienstag bei Ministerpräsident de Maiziere abgeben. Weitere Protestaktionen sollen folgen. Der Werneuchener SPD-Vorsitzende Dieter Friese will mit Greenpeace sprechen und die Tiefflieger vielleicht auch mit Drachen und Fesselballons an den Boden fesseln.

Seit die örtliche SPD gegen die Tiefflieger mobil mache, hielten sich die Sowjets „gar nicht mehr“ an die vereinbarten Übungszeiten, klagt Friese. „Bis weit nach Mitternacht“ seien die Flieger oft unterwegs. Im letzten Sommer inszenierten die MiG-Piloten sogar regelrechte Luftkämpfe. „Die Leute liefen schreiend aus ihren Häusern“, erinnert sich Friese, „sie dachten, jetzt ginge es los.“ Ins Garagendach eines geschockten Werneucheners sauste ein Blindgänger; doch der vermeintliche Ernstfall entpuppte sich als Manöver.

Gerade unter „Freunden“, zu denen Friese die Sowjets zählt, müsse doch der Wunsch der Werneuchener verständlich sein, die Truppen „nach Hause“ zu schicken. „Bis zum Friedensvertrag wollen wir nicht warten“, erklärt der Sozialdemokrat. Mit dem Flughafen-Kommandanten haben die Werneuchener darüber zwar noch nicht gesprochen. Die Haltung der Sowjetsoldaten ist Friese aber klar: Gehen wollen sie nicht, denn „denen geht es hier gut“.

hmt

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