: Aufstand der Kleingärtner
■ Letzte Tagung der Volkskammer / Modrows Moskaureport / Sozialcharta und Kulturschutzgesetz angenommen / Verfassungsdiskussion angeregt
Mit einer heftigen und kontroversen Diskussion über die Frage, ob und zu welchen Konditionen der DDR-Kleingärtner auch im künftig geeinten Deutschland seine Radieschen ernten darf, endete die letzte Tagung der Volkskammer. Begonnen hatte sie mit der Erklärung des gehetzten Hans Modrow über die Ergebnisse seiner Gespräche in Moskau. Doch zuvor versuchte der Premier sein Volk zu beruhigen und die Verunsicherung über die Zukunft ihrer Spareinlagen zu zerstreuen. Modrow beschwörend zu den Abgeordneten: „Meine Regierung ist weder bereit noch befugt, eine Währungsunion mit der BRD einzugehen. Das kann erst von der neuen Regierung nach dem 18. März beschlossen werden.“
In der Frage der polnischen Westgrenze ließ Modrow keinen Zweifel an der Position der DDR aufkommen. Die Oder-Neiße-Grenze wird auch die Grenze des künftigen deutschen Bundesstaates zu Polen sein. 'Bild‘ fragte am Mittwoch morgen: „Modrow: Verrat in Moskau?“, und bezog sich damit auf ZDF-Informationen, wonach der DDR -Regierungschef Gorbatschow aufgefordert haben soll, DDR -Position in den 6er Verhandlungen über die Vereinigung Deutschlands zu vertreten. Kein Anschluß nach Artikel 23, kein Widerruf der nach 45 erfolgten Vermögensumverteilung. Für 'Bild‘ im Wahlkampf: Landesverrat. Modrow machte in seiner Erklärung kein Hehl daraus, daß seine Regierung nicht den Anschluß, sondern die Vereinigung anstrebt, und daß die Eigentumsverhältnisse in der DDR zu wahren sind. Bei der NATO-Frage verwies Modrow auf die klare Haltung Moskaus.
Als die Minister Böhme und Poppe, die am Montag vom Runden Tisch verabschiedete Sozialcharta den Abgeordneten zur Annahme vorlegten und Poppe dabei ein klares Alternativszenario zum kalten Anschluß zeichnete, kam Bewegung in den rechten Flügel des Hauses. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, Volksabstimmung über dieses Papier am 17. Juni oder und dann eine gemeinsame verfassungsgebende Versammlung beider deutscher Staaten. Nur so, in der Ausarbeitung einer neuen Verfassung für ein neues Deutschland, sei die Würde und Selbstachtung der DDR-Bürger zu respektieren. Wer den Anschluß nach Artikel 23 will, so Poppe weiter, soll wenigstens so ehrlich sein und auch der vorgelegten Sozialcharta, die weit über das Grundgesetz hinausgeht, seine Zustimmung verweigern. Drei Gegenstimmen und elf Enthaltungen, vornehmlich aus den Reihen der CDU -Fraktionen, waren die Antwort auf Poppes Offensive. Der Kulturminister widerrief seine marktwirtschaftlichen Leitsätze aus dem vorigen Dezember. Er reagierte damit auf die anhaltenden Proteste der Künstlerverbände. Ein Kulturschutzgesetz wurde ohne Gegenstimme angenommen. Die Kleingärtnerlobby von PDS bis CDU meldete bei der Debatte über das Gesetz über den Verkauf volkseigener Gebäude, ihre Interessen massiv an. Verabschiedet wurde das Gesetz jedoch der Zeit gehorchend ohne Änderung.
Andre Meier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen