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Aufsicht an sich gezogenGabriel übernimmt den Fall Vattenfall

Bundesumweltminister zieht das weitere Prüfverfahren des Störfalles im Akw Krümmel an sich – er kann es im Wahlkampf brauchen. Trittin kritisert sein "lautes Getöse". Und Vattenfall entschuldigt sich.

Gefundenes Fressen vor der Wahl: Gabriel zieht den Fall Vattenfall an sich. Bild: dpa

BERLIN taz |Nach dem erneueten Störfall im Atomkraftwerk Krümmel hat Bundesumweltiminister Sigmar Gabriel (SPD) angekündigt, die Entscheidung über die Zukunft des Reaktors selbst zu treffen. "Wir sind uns einig, dass ein Wiederanfahren des Reaktors nur nach vorheriger Zustimmung der Bundesaufsicht erfolgen wird", sagte Gabriel der tageszeitung.

Formal üben die Länder die Atomaufsicht aus. Der Bund hat ihnen gegenüber jedoch ein Weisungsrecht. Als Kritik an der schleswig-holsteinischen Sozialministerin Gitta Trauernicht (ebenfalls SPD) will Gabriel seine Ankündigung nicht verstanden wissen. Deren Vorgehen sei "angemessen und richtig" gewesen. Klar ist viel mehr, dass dieser Vorfall Gabriel viel Munition in die Hand spielt für die Auseinandersetzung mit Union und FDP im Bundeswahlkampf. Das dürfte der eigentliche Grund hinter der Entscheidung sein.

Scharfe Kritik übte Gabriel hingegen am niedersächsischen Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). Dieser war zu einem Gespräch über ungelöste Sicherheitsprobleme im Kühlsystem von Atomkraftwerken nicht erschienen. "Mit seinem verfassungswidrigen Verständnis von Atomaufsicht wird Herr Sander zum untragbaren Sicherheitsrisiko", sagte Gabriel der taz.

Als Konsequenz hat Gabriel nun eine offizielle Weisung nach Niedersachsen geschickt. Ohne die geforderten Sicherheitsnachweise fehle eine "Genehmigungsvoraussetzung" für die Atomkraftwerke, heißt es in der Weisung des Bundesumweltministeriums.

Außerdem will Gabriel die Elektronik in allen deutschen Atomkraftwerken überprüfen lassen. Der Störfall in Krümmel ereignete in einem der Transformatoren des Reaktors.

Trittin kritisiert Gabriel

Der Grünen-Politiker und frühere Umweltminister Jürgen Trittin kritisierte dagegen die Rolle Gabriels. "Gabriel versucht mit lautem Getöse davon abzulenken, dass er es versäumt hat, schärfere Regeln für Atomkraftwerke gegen die Länder durchzusetzen", sagte Trittin der taz. Gabriel hatte das neue "Kerntechnische Regelwerk" kürzlich nach Widerstand aus den Bundesländern zunächst nicht in Kraft gesetzt.

Durch die neue Krümmel-Panne gewinnt auch die Debatte über die weitere Zukunft der Atomkraft in Deutschland wieder an Fahrt. Gabriel und Trittin kritisierten die Pläne von Union und FDP, nach der Wahl den Atomausstieg zu stoppen. "Ich halte den Einsatz der Bundeskanzlerin für längere Laufzeiten der alten Atomkraftwerke für unverantwortlich", sagte Gabriel. Trittin verwies auf eine neue Studie der Landesbank Baden-Württemberg, wonach die Stromkonzerne bei deutlich längeren Laufzeiten Zusatzgewinne von 200 Milliarden Euro erzielen könnten. "Diese Geschäfte gehen zulasten der Bevölkerung, die das Sicherheitsrisiko trägt", sagte Trittin.

Vattenfall entschuldigt sich

Derweil hat sich Vattenfall am Sonntag für die Informationspannen nach dem neuerlichen Störfall in Krümmel entschuldigt. "Ich will ganz deutlich sagen, dass dies für uns nicht akzeptabel ist", sagte Ernst Michael Züfle, Geschäftsführer von Vattenfall Europe Nuclear Energy.

Die Atomaufsicht in Kiel war am Samstag zuerst von der Polizei über den Störfall informiert worden. Eigentlich hätte die Info direkt von Vattenfall kommen müssen. "Wir werden aus dem gestrigen Ablauf klare Konsequenzen ziehen", erläuterte Züfle in einer Presseerklärung. "So etwas darf nicht wieder vorkommen."

Vattenfall will den Vorfall nun zunächst ausführlich untersuchen, und bestätigte, dass es sich um eine "erneute Störung in einem Transformator" handelte – in einem "baugleichen Transformator" wie der, der schon vor zwei Jahren zum Brand führte. "Für die Ursache des neuen Kurzschlusses haben wir bisher keine Erklärung", sagte Züfle.

"Wir bedauern außerordentlich, dass es durch den Vorfall erneut zu einer Verunsicherung der Öffentlichkeit gekommen ist", erklärte Züfle weiter. Vattenfall will nun wieder eine Kommission mit der Prüfung des Störfalls beauftragen. Sie wird vom "Nuklearen Sicherheitsrat" des Unternehmens durchgeführt werden. Vattenfall richtete dieses Gremium vor zwei Jahren ein. Dazu gehören externe Experten wie der frühere schwedische Außenminister Hans Blix.

Krümmel gehört zu den anfälligsten Akw

Das 26 Jahre alte Atomkraftwerk Krümmel gehört zu den pannenanfälligsten Reaktoren in Deutschland: Über 300 meldepflichtige Ereignisse haben die Behörden seit Inbetriebnahme verzeichnet. In der Statistik liegt Krümmel damit ganz vorne, in einer Liga mit Uraltreaktoren wie Biblis und Brunsbüttel. Von einem "getunten Schrottreaktor" spricht Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. Laut Atomkonsens darf das Kraftwerk noch bis zu neun Jahre betrieben werden. Vattenfall zeigt bisher keine Bereitschaft, es früher stillzulegen.

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14 Kommentare

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  • B
    BOSwell

    @ vic: eine partei, die kleinere und größere übel abwägt und sich für die vermutlich kleineren entscheidet und eine regierungsbeteiligung vorzieht, kann in einer regierung (natürlich) nicht annähernd alle ihre ziele durchsetzen. aber sie ist weit mehr als nur eine verzierung der großen partei. wo die grenzen der toleranz jeweils liegen, ist zwar nicht so einfach zu sagen, aber die art von polemik, die eine koalitionspartnerin für ALLE beschlüsse einer regierung verantwortlich macht, ist meines erachtens entweder dumm oder scheinheilig.

  • V
    vic

    Zu meinem Eintrag vom 6.7., 7.24h:

     

    "Ach noch eben zu Trittin. Sollte sich ergeben dass der neue Kopf an Merkels Blazer Grün sein wird, werden auch die Grünen Laufzeitverlängerungen unterschreiben."

     

    Das sollte natürlich ein Knopf werden, kein Kopf!

  • B
    BOSwell

    @ thiotrix: W. Krämer und manch andere Autoren, auch beim Spiegel, merken offenbar manchmal gar nicht, dass sie beim vermeintlichen Aufklären von Voruteilen ihren eigenen Vorurteilen erliegen. "Blinde Flecken für die eigenen Denk-/Wahrnehmungs-Fehler dieser Leute" könnte man das nennen ...

  • B
    BOSwell

    " ... Vattenfall entschuldigt sich."

     

    Na, das ist ja wohl das Allermindeste!!!!!

    Aber bei Weitem nicht genug!!!!!

     

    Hat Vattenfall oder irgend ein anderes Unternehmen, das AKW oder Kohlekraftwerke betreibt , auch nur ein .V.i.e.r.t.e.l. aller Gewinne der letzten 20 oder auch nur 10 oder auch nur 5 Jahre in Windenergie und/oder Solarenergie und/oder Geothermie re-investiert? Wo sind mindestens 75% der Gewinne geblieben?

     

    Entschuldigungen aussprechen ist leicht, zu leicht.

  • M
    Martin

    Die Atomaufsicht komplett dem Bund zu übertragen, ist schlicht dumm, denn wenn im Herbst Schwarz-Gelb an die Macht käme, dann hätten nicht mal mehr Länder mit roter oder grüner Mitregierung Einfluß.

  • KK
    Klaus Keller

    @thiotrix es freut mich für sie das sie sich erst Sorgen machen wenn sich im Nuklearen bereich Störungen ereignen. Keine Todesfälle..das möchte ich bezweifeln.Der radioaktiv verursachte Tot ist oft ein langsamer (erhöhte Krebsrate).Ein größere Störfall, wie auch immer verursacht,bleibt kein lokales Ereignis wie eine Explosion in einer Biogasanlage.

    Das wir den Tot in anderen Bereichen eher akzeptieren macht Kernkraftwerke nicht sicherer.

    Ich bin der Meinung das menschliches handeln dort an Grenzen Stößt wo die Folgen im Falle des versagens zu groß werden oder wir sie garnicht einschätzen oder kontrolliern können.

    In Deutschland wurde dehalb entschieden

    A-Die Bundeswehr wird nicht mit Atomwaffen ausgerüstet.

    B-Aufgrund der Risiken der Kernenergie wird von uns dieser Weg nicht weiter beschritten.

    C-läßt sich vortsetzen...zb Unkalkulierbarkeit des Krieges läßt sich u.a. in Afgahnistan beobachten ups..sry wir haben uns einwickeln lassen..

     

    klaus keller hanau

  • KK
    Klaus Keller

    @vic -Watt en Fall sollte nichts anderes machen!Hab keine Lust auf Knäckebrot mit Steinchen und funktionsunfähige Möbel! :-)

    -E.on und RWE planen lieber Kernkraftwerke in Groß-Britanien oder Bulgarien wenn überhaupt weil die Dinger sauteuer werden und nur einzelne Staaten glauben hier strategische Ziele verfolgen zu müssen wie die in diesem Punkt verückten Franzosen. E.on erhöht geräuschlas seine Anteile an Schwedischen Kernkraftwerksbetreibern.Die sehen das eher mit einem lachenden Auge...

    Die Rot/Grüne Atomausstiegsregeln verbieten den deutschen Betreibern im Ausland gar nichts.

     

    klaus keller hanau

  • A
    alcibiades

    Der Vattenfall-Sprecher spricht von "Verunsicherung" in der Bevölkerung. Nein mein Herr, die Bevölkerung weiss schon genug über diese strahlenden Schrotthaufen, verunsichert ist keiner, der auch nur ein paar Artikel über diese gefährlichen Kästen mitbekommen hat. Nur unsere sog. Vertreter sind noch immer nicht so weit.

  • V
    vic

    In den letzten Tagen seiner Amtszeit entdeckt der Umweltminister seine Aufgabe, und das halbherzig.

    Vattenfall hatte genug Chancen, sie sollten es mit Möbel oder Knäckebrot versuchen. Vielleicht können sie das.

    Aber bitte darüber keinen Freibrief für andere Betreiber ausstellen. In Krümmel heißt ansonsten der Eigner eben künftig RWE oder EON.

    Ich fordere das AUS für Kernkraftwerke - Jetzt!

     

    Ach noch eben zu Trittin. Sollte sich ergeben dass der neue Kopf an Merkels Blazer Grün sein wird, werden auch die Grünen Laufzeitverlängerungen unterschreiben.

  • H
    Hanseat

    Oh Gott!

     

    Wenn der Transformator vor einem Kohle- oder Gaskraftwerk einem Kurzschluß erlegen wäre...

     

    Es gibt so viele davon. Oh Gott, OhGott, Oh Gott...

  • KK
    Klaus Keller

    Schreihals....:Ich halte den Einsatz der Bundeskanzlerin für längere Laufzeiten der alten Atomkraftwerke für unverantwortlich", sagte Gabriel...über seine Chefin...und nun? schwarzärgern umfallen,oder zurücktreten,auf keinen Fall wieder Umweltminister falls die große Koalition fort gestzt wird?

     

    Klaus Keller Hanau

  • T
    thiotrix

    Störfälle im KKW Krümmel und anderswo in Deutschland

     

    Siggi Pop Gabriel hat mal wieder nichts begriffen: nahezu alle „Störfälle“, über die so ausführlich wie hysterieerzeugend in allen deutschen Medien berichtet wird, haben sich im nichtnuklearen Teil der Kernkraftwerke ereignet! Auch der Transformatorbrand vor zwei Jahren, der schon fast als letzten Schritt vor dem Super-Gau dargestellt worden war, betraf nicht den Kernreaktor. Auch die jüngsten Probleme lagen in den Transformatoren – und in jedem Fall erfolgte die Abschaltung der Anlage planmäßig. 40 Jahre großtechnische Nutzung der Kernenergie in Deutschland haben bisher keine Todesfälle verursacht – im Gegensatz z. B. zur erst seit wenigen Jahren massiv ausgebauten Biogasgewinnung: hier hatte es in 2005 eine Unfall mit 4 Toten und einem Schwerverletzten gegeben.

    Zur Gefährdung durch Radioaktivität gab es einen sehr informativen Artikel im „Spiegel“ Nr. 47-2007: „Legende vom bösen Atom“ (kann sich jeder kostenlos runterladen!)– dieser Aufsatz müßte Pflichtlektüre für alle Anti-Atom-Fanatiker werden, dazu noch das wundervolle Buch „Die Panikmacher“ von W. Krämer und G. Mackenthun. Leute, macht euch erst einmal die wirklichen Risiken des Alltagslebens und die wahren Killer klar und kommt zurück auf den Boden der Tatsachen!

  • I
    Iro

    Die Atomkraft war ein Experiment, es ist schief gelaufen, also sollten wir dieses Experiment beenden. Die Zukunft gehört Solar, Wind und Energieeffizienz.

  • A
    Abschalten

    Es ist lächerlich mit einer neuen Sicherheitsprüfungskommission zu brillieren: Abgeschaltet werden muss dass marode AKW Krümmel.