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Aufprall von Naturalismus und Symbolismus

■ Emanzipierte Frauen Mangelware: Sandra Strunz inszeniert Ibsens Frau vom Meer im Malersaal

Es macht einen erstmal hilflos. Ärgerlich. Wütend. Dieses mythendurchtränkte Ibsen-Stück, das hysterische Frauen vorführt, darunter eine sich ewig Wegsehnende, die schließlich doch bei ihrem Ehemann bleibt. Und nicht ganz klar wird einem bei der ersten Lektüre, ob weibliche Emanzipation hier überhaupt vorgesehen ist. Denn Ibsens hat das Stück Die Frau vom Meer , das Sandra Strunz jetzt im Malersaal inszeniert, großteils mit Klischee-Weibchen bestückt: Jahrelang hat sich Ellida, die der Arzt Wangel durch Heirat vom offenen Meer in den engen Fjord transportierte, nach ihrem heimlichen, mysteriösen Geliebten gesehnt. Immer ständig Frischwasser braucht, sich über die abgestandene Fjordbrühe beschwert.

Und dann... kommt der Fremde endlich zurück, um sie zu holen, ihr Mann „gibt sie frei“ – und plötzlich entscheidet sie sich für den Verbleib in der Einöde bei Wangel, dessen verstorbene Erstfrau noch ständig subtil anwesend ist. Als habe sie plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen, zuckt Ellida, jetzt auf sich selbst zurückgeworfen, zurück vor der Freiheit. Plötzlich fabuliert sie romantisierend von der übergroßen Liebe ihres Ehemanns, deren Intensität sie an seiner Bereitschaft, sie freizugeben, misst.

Merkwürdige Maßstäbe sind es, die sie da anlegt – wie es überhaupt eine merkwürdig unmotivierte Wendung ist, die Ellida hier praktiziert. Ob der Fremde überhaupt real ist, ob er für geträumtes, ungelebtes Leben steht oder ob er Ellidas Träume spiegelt, scheint dabei zweitrangig. Tatsache ist jedenfalls, dass er das brüchige Familiengefüge ernsthaft stören kann, wie es Dimitra Petrou, Schauspielhaus-Dramaturgin seit dieser Spielzeit, formuliert. Tatsache ist auch, dass Ellida in eine vollkommen statische Welt hineingeraten ist, in der das Gesetz des Schweigens und Vertuschens herrscht: „Fast keine der Figuren sagt je ehrlich, was sie denkt, weil sich keine klar ausdrücken kann“, sagt Petrou, die das Stück beim ersten Lesen „irritierend bis ärgerlich“ fand, dann aber langsam in jene unerklärliche Spannung hineingeriet, die viele Ibsen-Stücke prägt und die auf der klar konturierten Fessel Familie basiert. Zeitverschobene Parallelhandlungen sind dabei inklusive, weibliche Hoffnungsträger eher selten.

„Die einzige, winzige Hoffnung ist Wangels Tochter Hilde, die schamlos mit dem Tod ihres Partners kokettiert. Sie allein hat etwas Aggressives und Anarchisches, während die anderen Frauen sich im Stück nicht groß weiterentwi-ckeln.“ Im Gegenteil, die Schluss-Szene hat auch Petrou zur Verzweiflung getrieben. „Das muss man sich mal vorstellen, dass der Mann der Frau erlauben muss, sich frei zu entscheiden, das ist einfach gruselig!“ Gruselig findet sie auch „den ganzen mythologischen Quark“, den Ibsen in das Stück gepackt hat: etwa dann, wenn der halb-reale Fremde wie ein Wiedergänger auftritt oder wenn sich Ellida als dem Wasser verwandtes Elementarwesen definiert, das allenfalls in Trollmärchen der schlichtesten Art Platz finden würde.

Jedoch – Ibsen selbst fand, dass er gerade mit diesem Stück völlig neue Wege beschritt und sah nicht den harten Aufprall von Naturalismus und Symbolismus, der „ein Riesenproblem für die Inszenierung ist“, so Petrou. Und genau deshalb – und weil's so gruselig ist, „haben wir das Stück nicht eins zu eins in unsere Wirklichkeit zu transportieren versucht“, sagt die Dramaturgin.

Ist auch gar nicht nötig, findet sie, denn „die Kluft zwischen Schreien und Schweigen, zwischen Hysterie und Totenstille ist für mich hochaktuell. Und die Fluchtmechanismen – der Arzt trinkt bei Problemen, seiner Frau gibt er Tabletten – könnte man als zeitlos bezeichnen.“ Und ist nicht Ellidas Bleiben in Wirklichkeit eine moderne, selbstbewusste Lösung? „Im Prinzip schon. In diesem Stück wäre es das allerdings nur, wenn die Welt, in der Ellida zurückbleibt, Veränderung zuließe“, sagt Petrou. Und wenn aus den Eheleuten letztlich gleichberechtigte Partner würden. Aber vielleicht werden sie das ja auch in Sandra Strunz' Inszenierung. Petra Schellen

Premiere: morgen, 28.9., 20 Uhr, Malersaal

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