■ Aufklärungsexperte Peter Lamptey über den halbherzigen Kampf der Weltgemeinschaft gegen HIV: Aids-Bekämpfung mit Zensur
Peter Lamptey ist Direktor des „Aidscap-Projektes“ in Washington, USA. Das Projekt wurde gegründet, um den Kampf gegen Aids in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Auf dem derzeit in Berlin stattfindenden Aids-Kongreß gab Lamptey einen gemeinsam mit den Experten der Genfer Weltgesundheitsorganisation erarbeiteten Überblick über Erfolg und Scheitern der weltweiten Präventionsprogramme.
taz: Herr Lamptey, glauben Sie, daß es grundsätzlich möglich ist, die weltweite Aids-Epidemie durch Verhütungsmaßnahmen zu stoppen?
Peter Lamptey: Ich glaube nicht, daß es uns gelingt, die Aids- Ausbreitung völlig zu stoppen, weder durch Heilmittel, noch durch Impfung und auch nicht durch Vorsorgemaßnahmen. Aber wir können die Epidemie durch eine gute Verhütung stark verlangsamen, und diesen Job müssen wir tun. Es gibt inzwischen genug Erfolgsstories aus allen Teilen der Welt, die beweisen, daß es möglich ist.
Welches sind – im zweiten Jahrzehnt der Epidemie – die größten Hindernisse auf dem Weg zu einer erfolgreichen Aids-Bekämpfung?
Es fehlen noch immer die Mittel für solch eine Präventionsarbeit. Aber wir brauchen nicht nur Geld, wir brauchen auch Personen und Institutionen, die sich engagieren. Unsere Verhütungsprojekte sind zu klein. Sie konzentrieren sich meistens auf Prostituierte oder Homosexuelle in einigen großen Städten, und das ist zuwenig.
Die Weltgesundheitsorganisation hat vorgerechnet, daß man mit drei Milliarden Dollar pro Jahr weltweit den Kampf gegen Aids erfolgreich organisieren könnte. Eine lächerliche Summe im Vergleich zu den Millionen Menschenleben, um die es geht.
Mit diesen drei Milliarden Dollar könnte man die Zahl der Infizierten, mit denen wir bis zum Jahre 2000 rechnen, zumindest halbieren, davon sind wir überzeugt. Die drei Milliarden sind eine recht zuverlässige Abschätzung der Summe, die notwendig wäre, um die Epidemie einigermaßen unter Kontrolle zu bringen.
Es geht aber nicht nur um die finanziellen und personellen Ressourcen. Es gibt doch auch andere Gründe, weshalb es nicht funktioniert.
Der zweite sehr wichtige Grund, weshalb wir scheitern, ist die Aidspolitik. Die politischen Instanzen haben noch immer nicht begriffen, daß Aids keine Kinderkrankheit ist. Aids ist eine gefährliche Epidemie mit rasender Ausbreitung. Hier kann man die Dinge nicht von einem Jahr auf das nächste verschieben. Erinnern Sie sich daran, daß in weniger als zehn Jahren in manchen Populationen die Infektionsrate von null auf siebzig Prozent angestiegen ist. Zum Beispiel bei den Prostituierten in einigen Metropolen Afrikas oder Asiens. Wir brauchen also eine Aidspolitik, die schnell und umfassend reagiert.
Welche Länder haben denn versagt?
Die Situation in Brasilien ist sehr schwierig. Sie wissen, daß das Kondom eines der wenigen Mittel ist, das wir gegen Aids haben. Wenn diesen Kondom besteuert wird, wenn es dadurch so teuer wird, daß es sich die Leute nicht leisten können, dann ist die Verhütung unmöglich. Brasilien ist nur eines von vielen Ländern, in denen die Kondome teuer sind. Sie müssen dort etwa einen Dollar pro Stück bezahlen. Wir brauchen Kondome, die einen Cent kosten, also ein Prozent der heutigen Summe.
Dazu kommen die Ängste und Verbote gegenüber einer Aids- Prävention mit Kondomen im Fernsehen und Radio. Die USA sind ein gutes Beispiel dafür, es gibt aber viele andere Beispiele. Zur selben Zeit laufen aber im Fernsehen alle möglichen Sexfilme. Wir wollen nichts anderes als lebenswichtige Gesundheitsbotschaften verbreiten, und man wirft uns vor, wir würden die Jugendlichen zur Promiskuität und zu Sexmonstern erziehen. Es ist unglaublich.
In welchen Ländern ist die Kondom-Kampagne im Fernsehen verboten worden?
In fast allen. Sie müssen die Frage andersherum stellen: Wo ist sie erlaubt? In Kamerun zum Beispiel. Dort darf zumindest im Radio für geschützten Sex mit Kondomen geworben werden. In mehr als 40 Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und der Karibik sind die Präventionsaussagen in den Medien einer strikten Zensur unterworfen.
Es gibt aber auch positive Beispiele. Sie haben von „Erfolgsstories“ gesprochen. Welche meinen Sie?
Es gibt eine Reihe von Beispielen. Ein erfolgreicher Ansatz ist die Aids-Prävention durch Gleichgesinnte. In Bulawayo in Simbabwe haben wir Sex-Arbeiter, Bar- und Hotelpersonal für den Job als Aidsaufklärer angeworben. Diese Gruppe erreicht sehr viel mehr Menschen mit Risiko-Kontakten. Innerhalb einer 30monatigen Beobachtungszeit wurden in Bulawayo mehr als drei Millionen Kondome verteilt, die meisten in den Biergärten, Hotels und in den Kliniken für sexuell übertragbare Krankheiten. In derselben Zeit ist der Kondomgebrauch unter den Sex-Arbeitern von fünf auf 50 Prozent angestiegen.
In ihrem Vortrag haben Sie mehrere solcher Beispiele erwähnt. Gibt es vielleicht doch einen Wendepunkt in einigen Ländern?
Es gibt in vielen afrikanischen Ländern ein stärkeres Verantwortungsgefühl, naturgemäß vor allem in den Regionen, die am schlimmsten von der Epidemie betroffen sind. In Kamerun, Zaire, Uganda oder Simbabwe sind Aids-Programme auf den Weg gebracht, die hoffentlich ihre Wirkung zeigen. Aber ich glaube dennoch nicht, daß diese Länder schon an einem Punkt angekommen sind, um die Epidemie wirklich spürbar zu verlangsamen. Sie bewegen sich in die richtige Richtung, aber sie sind noch lange nicht am Ziel.
Was mich noch mehr beunruhigt, sind die Länder Westafrikas oder Asiens, die sich weigern, aus der Geschichte von Aids zu lernen. Sie haben jetzt noch keine großen Probleme, aber sie nützen diesen Vorsprung nicht. Ihre Aids-Programme sind klein und halbherzig. Sie sollten in ihre Computer einmal die Zahlen der zentralafrikanischen Staaten eingeben, dann würden sie die Parallelen erkennen. Auch dort war die Ausbreitung anfangs klein und ist dann explodiert. Es ist alles eine Frage der Zeit, und wir brauchen jetzt und sofort gute Präventionsprogramme und nicht in fünf oder zehn Jahren.
In den Industrieländern gilt die kleine Schweiz als Musterknabe für eine gute und erfolgreiche Aids-Prävention.
Stimmt. Die Schweiz hat eine der aggressivsten und ungewöhnlichsten Präventionsprogramme gegen Aids gestartet. Ihre Kondom-Botschaften waren in allen Medien und Zeitungen, im Kino und auf Reklametafeln präsent. Und sie haben einen dramatischen Wandel bewirkt. Der Kondomverkauf ist von sechs auf 14 Millionen angestiegen. Auch das ist eine Aids-Erfolgsstory. Interview: Manfred Kriener
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