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Archiv-Artikel

Aufbrüche im Abbruch

In einem dem Abriss geweihten Wohnsilo in Tenever lassen sich für vier Wochen noch einmal 40 Menschen nieder – um ein „nachhaltiges“ Wohnprojekt mit künstlerischen Ambitionen zu realisieren

von Jan Zier

Sie sind SoziologInnen oder PhilosophInnen, StadtplanerInnen oder angehende ArchitektInnen, SchneiderInnen oder KünstlerInnen. Mitunter aber auch einfach arbeitslos. Ende der Woche ziehen sie für gut einen Monat nach Tenever, Neuwieder Straße 46-52: ein breiter Hochhauskomplex, hellgrau, mit olivgrünen Versatzstücken, breiten Außenfluren, zahlreichen geborstenen Fenstern.

Nicht wenige der gut 40 meist unter 30-jährigen Neuankömmlinge würden sonst kaum in einem Plattenbau wie diesem, einem sozialen Brennpunkt, wohnen wollen. Aber es geht auch nicht ums bloße Wohnen, nicht in erster Linie jedenfalls. Sondern um den Beweis: Dass nämlich Nachhaltigkeit möglich ist. Dass sich Leben und Arbeiten integrieren lassen. Nicht auch – sondern gerade hier. In Tenever, der Großwohnsiedlung, in der eben das stets funktional getrennt war.

Sie nennen es „Sproutbau“, abgeleitet vom englischen Wort für „Sprosse, Setzling“. Doch die Blüte währt nur kurz. Spätestens Ende des Jahres wird der so genannte „Krause-Block“ abgerissen, das ist seit zwei Jahren beschlossene Sache. Die letzten MieterInnen haben die über 100 Wohnungen bereits verlassen – sie wurden umgesiedelt, die meisten von ihnen in Tenever selbst. Ein Einziger ist noch bis heute geblieben, einer, der von Anfang an hier wohnt, seit 1973.

Nur ein Drittel seiner neuen MitbewohnerInnen kommt aus Bremen, der Rest stammt aus dem Rest der Republik. Oder kommt aus Estland und Spanien, aus Finnland und den USA, aus Neuseeland und der Schweiz hierher. Und jede, jeder hat ein eigenes „Experiment“ mitgebracht. Manche sind eher praktisch, so wie beispielsweise die „Volksküche“. Oder die „SproutUniversity“, bestehend aus Vorträgen und Seminaren. Oder die „Nähwerkstatt“: Eine Kooperative für jene, die etwas genäht haben müssen, etwas nähen wollen, gern eine Tasche oder ein Kostüm. Eine Schneiderin wird ihn eröffnen, eigentlich hat sie Sommerurlaub.

Nicht wenige Projekte sind indes eher künstlerisch motiviert. So wie etwa das Theaterstück „Outside Girls“, eine Geschichte dreier Schauspielerinnen. Um die Liebe soll sie sich drehen, um das Leben, um Existenzielles – und um Banales. Auch ein eigener Fortsetzungsroman wird entstehen, eine Art Soap Opera, mit täglicher Lesung.

Die Kulisse dafür stellt die Gewoba, der neue Besitzer, der an dieser Stelle kleinteiligere Häuser errichten will. „Rückbau“ nennt sich das. Den Aufzug immerhin haben sie aber noch einmal Instand gesetzt. Ansonsten ist in den letzten Jahren aber nicht mehr viel gemacht worden, nicht wenige der Wohnungen sind in nur 30 Jahren stark heruntergekommen.

Gerade deshalb mutieren die vier Häuser jetzt zum Abenteuerspielplatz für Erwachsene, zur „Spielwiese“, wie Sproutbau-Sprecherin Claudia Saar es formuliert. Da kann auch mal ein Dachkino entstehen, weil es sich räumlich so anbietet. Die dafür vorgesehene Terrasse ist bislang nicht begehbar, überdies auch noch vergittert. Also muss erst die Balkonbrüstung eingerissen, ein Durchbruch geschaffen werden. Kein Problem – in einer Abbruch-Immobilie hat man allerhand Freiheiten. Und so will man den „Sproutbau“ auch nicht als Protestaktion, nicht als Widerstand gegen den Abriss der vier Wohnsilos verstanden wissen.

Finanziert wird das Projekt im Wesentlichen von seinen MacherInnen selbst, ganz idealistisch – sonst könnte ein Projekt wie der „Sproutbau“ wohl nie entstehen. Manch einer betrachtet dies auch als Investition in die eigene Karriere, so wie beispielsweise Daniel Schnier, Alexander Kutsch und Oliver Hasemann vom Autonomen Architektur Atelier (AAA). Im Sproutbau haben sie die Bauleitung inne.

An öffentliche Fördergelder jedenfalls ist in Bremen kaum zu denken. Einige Sponsoren wie das benachbarte Schulzentrum steuern Sachmittel oder ideelle Unterstützung bei. Aber kaum eigenes Geld. Damit sich das noch ändert, finden „Solikonzerte“ statt, zudem wird ein Patensystem installiert: Die Spendensumme variiert dabei zwischen 15 („Freund“) und 500 Euro („Großpate“). Auch einzelne Projekte lassen sich fördern, und wer will, bekommt für sein Geld den eigenen Namen in einem eigens geschaffenen „Patenraum“ an die Wand gepinselt.

Am Ende des Wohn/Arbeits-Experiments steht die „Betonale“, eine Ausstellung mit Workshops drum herum. Auch eine Dokumentation soll hernach entstehen. Wenn sie erscheint, ist der „Sproutbau“ selbst aber womöglich schon abgerissen.