Aufarbeitung des DDR-Dopings: Die Bewusstwerdung
DDR-Sportliebling Frank Ullrich, jetzt für die SPD an der Spitze des Sportausschusses, gerät wegen seiner Vergangenheit stark unter Druck.
Als „ein verheerendes Signal und Schlag ins Gesicht der Opfer des DDR-Dopings, die noch heute an den gesundheitlichen Folgen leiden“, hat kürzlich die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, die Entsendung von Frank Ullrich ins Aufsichtsgremium der Nada bezeichnet, der deutschen Antidopingagentur. Sie sehe es als notwendig an, dass Ullrich seine Verstrickung als Sportler und vor allem als Trainer in der DDR in Bezug auf Dopingmittel aufkläre. Zudem wies sie darauf hin, dass Ullrich in der DDR NVA-Offizier im Armeesportklub Oberhof, zuletzt im Rang eines Majors, sowie SED-Mitglied war.
Dies alles zeige, wie eng er mit dem System verwoben gewesen sei. Sie forderte ihn auf, seine Vergangenheit transparent zu machen. Weiter kritisiert Neumann-Becker, dass Ullrich sich an der Aufarbeitung des Dopings nicht beteiligt habe. Auch die Bundesbeauftragte für SED-Opfer, Evelyn Zupke, kritisierte den SPD-Politiker, der seit einigen Wochen den Sportausschuss des Bundestags leitet: „Ich vermisse einen kritischen Umgang mit seiner eigenen Rolle im DDR-Dopingsystem. Und ich vermisse auch, dass sich Herr Ullrich jemals für die Dopingopfer interessiert hat.“
In einer Presseerklärung vom Mittwoch ließ Ullrich nun verlauten, dass er ein Angebot der SED-Opferbeauftragten Zupke annehmen werde: „Ich werde mit ihr gemeinsam auch den Austausch mit Doping-Betroffenen suchen. Das ist letztlich eine Chance, gemeinsam mehr Licht in das DDR-Dopingsystem zu bringen und die Rolle, die wir darin gespielt haben.“ Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Sportausschuss, Fritz Güntzler, fordert, dass Ullrich sein Amt im Aufsichtsrat der Nada niederlegen müsse. Es sei zu spät, jetzt noch glaubhaft für „sauberen Sport im Nada-Aufsichtsrat einzutreten“, teilte er mit.
Selbst Ullrichs Fraktionskollegin, die sportpolitische Sprecherin der SPD, Sabine Poschmann, findet es angesichts der Vorwürfe „richtig, dass Ullrich sein Aufsichtsratsmandat bei der Nada jetzt erst mal ruhen lässt“. Dem stellvertretenden Vorsitzenden des Sportausschusses, Philip Krämer vom Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen ist das nicht genug: „Ich erwarte von Herrn Ullrich jetzt, dass er hier ganz klar darlegt, ob er vom Doping in der DDR wusste.“ Eine Sitzung des Sportausschusses am Mittwoch verpasste Ullrich wegen eines Corona-Positivtests.
Belege für Doping im Biathlon
Ullrich, der 1976, 1980 und 1984 an Olympischen Winterspielen teilnahm, beharrt weiterhin darauf, in seiner Zeit als Athlet niemals wissentlich mit Doping in Kontakt gekommen zu sein. Die FAZ hatte kürzlich aus seit vielen Jahren bekannten Stasi-Akten zitiert, die einen gegenteiligen Schluss zulassen: In einem handschriftlichen Bericht schrieb der Verbandsarzt des DDR-Skiläuferverbandes, Hans-Joachim Kämpfe, der unter dem Decknamen IM „Schmied“ auch für die Stasi als Spitzel arbeitete, am 15. März 1984 eine „Kurzeinschätzung der Wirksamkeit der UM („unterstützende Mittel“ war das Pseudonym für den Einsatz von Anabolika im DDR-Sport; d. Red.) in der Vorbereitung der Olympischen Winterspiele 1984 in Sarajevo“.
Weiter: „Im Biathlon wurde die Beeinflussung mit OT (Oral-Turinabol; d. Red.) nach den in den vorhergehenden Jahren bewährten Prinzipien geplant und realisiert.“ Aus dem Jahr 1971 datieren Stasi-Unterlagen des DDR-Sportarztes Heinz Wuschech aus Berlin, die belegen, dass die damaligen DDR-Skilangläufer Gerhard Grimmer und Gert-Dietmar Klause mit Anabolika gedopt worden sind.
Parlamentserfahrung hat der Bundestagsneuling Ullrich bisher kaum, seit 2019 wirkte er als damals noch Parteiloser im Stadtrat seiner Heimatstadt Suhl mit. Seinen Einzug in den Bundestag hatte Ullrich mit den Worten kommentiert: „Es fühlt sich wie ein Olympiasieg an.“ Und es sei für ihn eine große Ehre, „in der Herzkammer der Demokratie Platz zu nehmen“.
Bereits im Jahr 1991 wurden Dopingvorwürfe gegen Ullrich öffentlich. Der frühere DDR-Biathlet Jens Steinigen hatte schon 1991 die in der DDR verantwortlichen Biathlontrainer Kurt Hinze aus Oberhof, Wilfried Bock und Frank Ullrich belastet, weil sie ihn einst zur Dopingeinnahme überreden wollten. Daraufhin wurde Steinigen von Hinze verklagt. Hinze verlor den Prozess vorm Landgericht Mainz und musste von seinem Amt als Biathlonbundestrainer der Männer zurücktreten.
Im März 2009 hatte der ehemalige DDR-Biathlet Jürgen Wirth den Trainern Bock und Ullrich eine aktive Dopingverstrickung vorgeworfen; konkret, dass auch Ullrich die Einnahme des Dopingmittels Oral-Turinabol mit angeordnet und die Einnahme überwacht habe. Auch die beiden DDR-Biathleten und einstigen Mannschaftskameraden von Ullrich, Andreas Heß und Jürgen Grundler, hatten gegenüber der ARD-Sportredaktion im Jahr 2009 erklärt, dass Ullrich bei einer polizeilichen Vernehmung 1994 die Unwahrheit gesagt habe mit seiner Behauptung, „Tabletten, blau, gelb oder rosafarbene, habe ich nicht auf den Trainingslagern bekommen“.
Eine Aussage, die die beiden Dopinggeschädigten Heß und Grundler als Hohn empfanden. Ullrich hat all die Vorwürfe gegen ihn immer abgestritten und stets behauptet, unter der Bezeichnung „unterstützende Mittel“ im DDR-Leistungssport habe er Vitamine, Mineralsalze und physiotherapeutische Maßnahmen verstanden. Aber wie die Dopingprozesse zum DDR-Sport und auch die Stasi-Unterlagen eindeutig belegt haben, waren „unterstützende Mittel“ überwiegend Anabolika, verbotene Dopingmittel.
Eine vom Deutschen Skiverband eingesetzte Untersuchungskommission urteilte so über Ullrich: Wenn er auch heute behaupte, er sei davon ausgegangen, dass es sich lediglich um trainingsunterstützende Mittel im legalen Bereich gehandelt hätte, so sei das einem „unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus“ geschuldet. Das Verdrängte kommt nun zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland