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Archiv-Artikel

Auf in den Krampf

Zum 30. Todestag zeigt der RBB die Dokumentation „Ulrike Meinhof – Wege in den Terror“, die Widerstand für eine Psychose hält – und damit die politische Haltung der Filmer offenbart (22.15 Uhr)

Die Journalistenfrage „Warum?“ ist deren ganz private – Ulrike Meinhof hat offensichtlich keinen Bruch in ihrer Biografie gesehen

VON JÖRG SUNDERMEIER

Es gibt Wege des Lebens, Wege aus der Krise und Wege in den Terror. Sie alle sind persönliche Wege. Das jedenfalls scheinen Johannes Unger und Sascha Adamek in ihrer Dokumentation „Ulrike Meinhof – Wege in den Terror“ anzunehmen. Den Anlass für die RBB-Produktion bietet der morgige 30. Todestag von Meinhof, Auftakt zum Spektakel „30 Jahre Deutscher Herbst“.

Welche aber die Wege in den Terror sind, das bleibt auch nach dem Anschauen des Films im Verborgenen. Dabei haben Unger und Adamek sehr aufwändig gearbeitet, haben Genossen von Meinhof wie Peggy Parnass, Manfred Kapluck und Erika Runge, die Ex-RAF-Mitglieder Klaus Jünschke, Monika Berberich oder Manfred Grashof aufgesucht, sie haben mit Klaus Wagenbach, Stefan Aust und Bettina Röhl, Meinhofs Tochter, geredet; sogar mit Freimut Duve und Peter Schneider, die allerdings wenig zur Person oder gar zu ihren politischen Ansichten zu sagen haben.

Doch auch die anderen kommen, selbst wenn sie viel zu sagen haben, kaum zu Wort, sie äußern hier einen Eindruck und da ein Gefühl, Zeit, ihre Erinnerungen komplexer zu fassen, wird ihnen nicht eingeräumt. Erika Runge aber wird als „Freundin“ Meinhofs präsentiert, obschon sie selbst sagt, dass sie eher aus der Ferne beobachtet hat. Sie war Konkret-Redakteurin, also Meinhofs Kollegin. Anders als als Freundin aber ist sie nicht denkbar.

Die Interviewschnipsel werden Unger und Adamek zu einem Material, das seine Glaubwürdigkeit allein aus der Zeitzeugenschaft der Sprechenden beziehen soll, Intentionen und Erinnerungen der Sprechenden werden nicht hinterfragt, andere, konträre Ansichten nicht gegengeschnitten. Es scheint sie nicht zu geben. Auf die gleiche Weise nutzen Unger und Adamek das Film- und Bildmaterial, das sie gesammelt haben, sie fragen einfach nie nach dem Kontext, in dem es entstanden ist. So wird beispielsweise das berühmte Foto gezeigt, auf dem Polizisten den Kopf der verhafteten Meinhof mit Gewalt zur Kamera drehen. Man sieht ein wut- und schmerzverzerrtes Gesicht. Der Kommentar des Films jedoch besagt nur, dass die Polizisten die Verhaftete zunächst nicht identifizieren konnten. Weil sie ihr Gesicht so verzerrt hat?

Der Hohn, der aus einer solchen Text-Bild-Montage spricht, ist vermutlich unbeabsichtigt. Er zeigt nur die politische Einstellung der Filmer. Sie können nicht anders, als die Gegenwart für die Normalität zu nehmen, können politischen Widerstand nicht anders als ein persönliches, ja psychisches Problem betrachten.

Der Film beginnt dementsprechend mit „A Whiter Shade Of Pale“ von Procol Harum, gefolgt von der „Tageschau“-Meldung zu Meinhofs Tod. Er ist Ausgangspunkt, um die hundertmal gehörte Geschichte zu erzählen: Ein schönes, christliches, engagiertes Mädchen, das es als linke Journalistin in den Hamburger Jetset geschafft hat, wird plötzlich militant.

Die Frage „Warum?“, die sich die Journalisten seit 30 Jahren stellen, ist allerdings deren ganz private, Ulrike Meinhof selbst hat offensichtlich keinen Bruch in ihrer Biografie gesehen, auch wenn sie mit ihrer bisherigen Lebensweise beim Eintritt in die Illegalität gebrochen hat. Diejenigen, die diese Frage bis heute stellen, können oder wollen sich eben nicht vorstellen, ihre Ansichten je mit der Waffe verteidigen zu müssen – ob man das Vorgehen der Meinhof dabei richtig findet oder falsch, ist nicht von Belang. Konservative, die in Meinhof nichts als eine Staatsfeindin sehen, verstehen sie jedenfalls besser als jene, die nach persönlichen Motiven fragen.

Klaus Wagenbachs Rede von den „deutschen Verhältnissen“, an denen Meinhof zugrunde gegangen sei, wird in diesem Film zwar zitiert, nicht aber aufgegriffen. Meinhof wollte eigentlich tanzen, tanzen, tanzen, doch ihr Leben verlief leider anders, das suggeriert das Stück von Procol Harum, mit dem der Film auch endet. Ihm fehlt das Verständnis für die Politik Meinhofs – und damit jede Kritik daran.