■ Kommentar: Auf einsamen Wegen
Bislang liegen uns wenige Untersuchungen vor, die sich mit der Problematik des Muttersprachlichen Unterrichts für Kinder von ArbeitsmigrantInnen befassen. Obgleich von LinguistInnen in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Reihe auch für die Schulpraxis relevanter Forschungsergebnisse veröffentlicht wurde, kann von einem erfolgreichen „Transfer“ in die Praxis nicht gesprochen werden. Engagierte Lehrer im muttersprachlichen Bereich müssen sich einerseits auf das Anspruchsniveau linguistischer Fachliteratur zum Zweitspracherwerb und Bilingualismus einlassen und andererseits Wege durch den Dschungel dieser „grauen Materialien“ finden. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema führten zu zahlreichen Debatten. Auf die Unterrichtsrealität haben diese jedoch kaum Auswirkungen gezeigt.
Konsens besteht bei LinguistInnen wie bei PraktikerInnen darüber, daß dem Muttersprachlichen Unterricht erhebliche Bedeutung zukommt.
Angesichts der Tatsache, daß mittlerweile in den alten Bundesländern jedes neunte Kind eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wird von kaum einer Seite offener Widerspruch dagegen eingelegt, daß unsere Schulen ein interkulturelles Profil gewinnen müßten, auch und vor allem im sprachlichen Bereich.
Nach einem langen Stillstand in der Diskussion über den Muttersprachlichen Unterricht wurde mit der Veröffentlichung von Ingrid Gogolins „Erziehungsziel Zweisprachigkeit“, 1988, der Versuch unternommen, den Stand der bisherigen Forschung in den verschiedenen Fachdisziplinen zusammenzufassen und Perspektiven aufzuweisen.
Wünschenswert wäre jedoch eine Wiederbelebung der Diskussion um die Inhalte des Muttersprachlichen Unterrichts und daraus folgende Konsequenzen für die Unterrichtsorganisation und -gestaltung. Augenblicklich kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, daß sich die LinguistInnen überwiegend zurückgezogen haben in die Elfenbeintürme, viele PraktikerInnen auf einsamen Wegen wandeln und die BildungspolitikerInnen den Rotstift gespitzt halten. Katica Stanimirov
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