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Archiv-Artikel

Auf der Sondermülldeponie

GELÄNDEKAMPF Der Technoclub Rechenzentrum in Oberschöneweide glaubt sich in einer echten Hauptstadtoase zu Hause und wäre gerne noch länger Mieter. Doch um den Standort wird mit giftigen Argumenten gestritten

Nach 100 Probebohrungen ist immer noch nicht ganz sicher, wie kontaminiert der Boden wirklich ist

VON ANDREAS HARTMANN

Man fährt am Plänterwald samt Riesenrad vorbei, lässt das monströse riesige Heizkraftwerk von Vattenfall hinter sich, immer weiter raus aus Berlin geht es, bis nach Oberschöneweide, dorthin, wo die Stadt schon keine Stadt mehr ist. Dort, direkt an der Spree, liegt das Freigelände Funkpark, das so heißt, weil hier zu DDR-Zeiten ein Funkhaus stand.

Das Areal besticht durch eine einzigartige Mischung aus Ostcharme, Schrottplatzatmosphäre und grüner Idylle. Ein Restaurant gibt es hier inzwischen, Beachvolleyballfelder und natürlich dieses Strand- und Liegestuhlfeeling, auf das Berliner noch mehr abfahren als auf ihre Currywurst.

Und es gibt einen Technoclub, das Rechenzentrum, eine Art Bar 25, nur weiter außerhalb, dafür mit moderateren Bierpreisen und ohne nervige Türsteher, aber mit denselben Problemen wie Berlins weltberühmte Strandbar. In Zwischennutzung bespielt das Rechenzentrum das Gelände nun schon seit April letzten Jahres. Ende August läuft der Vertrag aus, und das soll es dann gewesen sein mit dem Club, der sich langsam, aber stetig zu einem weiteren Aushängeschild der wild wuchernden Nachtlebenkultur in Berlin hochgearbeitet hat. An den Wochenenden finden hier 48-Stunden-Raves statt, mit Shuttle-Bussen werden die Leute aus der Stadt herangekarrt, um zwischen Trabiwracks und Funkhausüberbleibseln drinnen und am Sandstrand zu tanzen.

„Hauptstadtoase“, sagen die Betreiber des Rechenzentrums über ihr Areal, das sie gerne weiter mieten würden. Die Reederei Riedel, die in dem in Berlin florierenden Ausflugdampferbusiness tätig ist und beabsichtigt, das Gelände zu kaufen, um dort, wo jetzt noch Club, Liegestühle und Trabi stehen, einen Hafen zu buddeln, sieht in der vermeintlichen Idylle dagegen eher eine Art Giftmülldeponie. Ein bizarres Ringen ist um das derzeitige Rechenzentrum im Gange, ein Kampf um ein Gelände, der zunehmend unappetitlicher wird und in dem sich beide Seiten argumentativ nicht gerade mit Ruhm bekleckern.

Die Fakten sind: Das Gelände ist tatsächlich kontaminiert, schon zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden hier Schiffe betankt, Kerosin ist massenhaft in den Boden gesickert. Von den Betreibern des Rechenzentrums wird dies auch gar nicht bestritten, auch nicht, dass der Senat bereits angeordnet hat, dass das Gelände, egal ob von einer Reederei oder einem Club betrieben, gereinigt werden muss, da inzwischen eine Gefährdung für das Trinkwasser nachgewiesen wurde.

Die Reederei Riedel fantasierte aber in einer Presseerklärung, zu der sie sich nach einer Flut wütender E-Mail von Rechenzentrum-Fans genötigt sah, auch von Auflagen des Ordnungsamtes, die den „Verzehr von Speisen im Freien“ untersagten, schuld seien „aus dem Erdreich diffundierende Dämpfe“. Auf Nachfrage der taz beim Ordnungsamt Treptow-Köpenick wurde bestätigt, dass derartige Auflagen nicht bestünden und dass die Reederei Riedel aufgefordert werden würde, ihre Falschaussagen von ihrer Homepage zu nehmen. Riedel reagierte, aber sichtbar unter Druck, weil statt der Geschichte mit den Dämpfen nun der Blödsinnssatz zu lesen ist, der wohl beweisen soll, dass man irgendwie ja doch recht hatte: „Eine Genehmigung für einen Kinderspielplatz unter üblichen Voraussetzungen wurde weder beantragt noch genehmigt.“ Genauso gut hätte man auch schreiben können: „Einen Ufo-Landeplatz hat niemand beantragt, und er wurde auch nicht genehmigt.“

Was die Schlammschlacht zwischen Rechenzentrum und Reederei überhaupt genau bringen soll, ist unklar. Will Riedel das Gelände kaufen, dann kriegt er es auch, darüber macht sich Timo Hoppart, Sprecher des Rechenzentrums, keine Illusionen. So richtig glaubt er auch nicht daran, dass man hier draußen noch von der „Mediaspree versenken!“-Initiative profitieren könnte. „Berlin ist pleite. Die Stadt ist daher dankbar für jeden, der hier investiert“, sagt er. Trotzdem will man kämpfen, noch hat Riedel den Kaufvertrag nicht unterschrieben. „Kurz vor der Ziellinie“ sei man immerhin, so Lutz Freise von der Reederei, der sich bemüht, nicht als der Vertreter eines brachialen und unsensiblen Investors dazustehen und in Richtung Rechenzentrum Sätze sagt wie: „Wir wollen das denen ja auch gar nicht kaputt machen.“

Riedel hat bloß noch nicht endgültig das Gelände für seinen geplanten Hafen gekauft, weil man nach angeblich 100 Probebohrungen immer noch nicht ganz sicher ist, wie kontaminiert der Boden wirklich ist. Je belasteter das Gelände, desto teurer die Entsorgung, desto schlechter das Geschäft. So die Logik, die auch besagt: total belastet – vielleicht sogar gar kein Geschäft.

Das ergibt endgültig eine schizophrene Situation. Das Rechenzentrum glaubt sich in der „Haupstadtoase“ und betont die Idylle, warnt auf seiner Homepage vor „stinkenden Dieselmotoren“, dem „Krach der Maschinen“ und dem „Anblick rostiger Stahlkolosse“. Eigentlich müssten die Klubbetreiber ihre Strategie ändern. Sie müssten sagen: Ja, wir hausen auf der Sondermülldeponie, deren Entsorgung fast unbezahlbar ist. Dann könnten sie vielleicht bleiben.