: Auf den Spuren des steinernen Riesen
■ Kunsthistoriker lüftet die Geheimnisse des Bremer Rolands
Stumm und unbeweglich steht er auf dem Bremer Marktplatz: Der steinerne Koloss mit Schild und Schwert. Er erinnert an Sagen und Märchen von Riesen, die allen Bedrohungen mit unzerstörbaren Lebenskräften begegnen. Das wenigstens ist eine Erklärung dafür, warum der Roland noch heute Besucher von nah und fern zum Verweilen zwingt.
Einhundertundziebzig Mark hat der Rat zu Bremen 1404 für seinen steinernen Hünen lockergemacht. So steht es im Rechnungsbuch des Bremer Rathausneubaus auf Seite eins. Doch auch in anderen norddeutschen Kommunen wurden seit dem 15.Jahrhundert Rolande auf Marktplätzen errichtet, meist in unmittelbarer Nähe des Rathauses. Das Schild vor der linken Brust, blicken sie mit charakterlosen Zügen starr geradeaus. Es scheint, als wollten sie nicht teilnehmen an dem Treiben des Marktplatzes. Symbole aus einer anderen Zeit?
Dem Geheimnis dieser Standbilder auf die Schliche zu kommen, darum bemühen sich Kunsthistoriker bereits seit Mitte des 19.Jahrhunderts. Dennoch, viele Fragen blieben bis heute unbeantwortet. Warum und seit wann errichteten Bürger solche Kolosse, welchen Sinn sahen die städtischen Auftraggeber in den Bildwerken? In seinem Buch „Roland — Die ältesten Standbilder als Wegbereiter der Neuzeit“ versucht Wolfgang Grape zum ersten Mal auf diese Fragen ausführlich zu antworten.
Seine Schlußfolgerungen sind überraschend: Als symbolischer Schwertträger Karls des Großen repräsentiert der Roland nicht, wie allgemein vermutet, die Freiheit der Stadt insgesamt. Vielmehr personifiziert er die nach Unabhängigkeit strebende bürgerliche Oberschicht. Er widersetzt sich dem traditionellen Anspruch der feudalen, meist bischöflichen Stadtherren, über die Kommunen zu herrschen.
Dabei fungierte der steinerne Hüne vermutlich als Signum kommunaler Freiheiten, das die Rechte der Obrigkeit und die der Stadt gleichsetzte. Die geistliche und weltliche Aristokratie wurde in ihre Schranken gewiesen, nicht nur in Bremen, sondern auch in Halberstadt, Quedlinburg oder Halle. „Erstaunlich, wie häufig die Geschehnisse einander ähneln“, schreibt Wolfgang Grape, „wie oft man sich schon im hohen Mittelalter mit Bildern bekämpfte, dies lange vor Erfindung des Flugblattes.“
Vom ästhetischen Standpunkt her, als geformtes Kunstwerk, ist der Roland kaum anerkannt. Dabei waren die ältesten Rolandfiguren als erste Standbilder menschlicher Figuren im freien Raum Bahnbrecher für eine neuzeitliche Bildhauerei. Das Denkmal ist sozusagen „ein Durchbruch, ein monumentales Bekenntnis zum dreidimensionalen Menschenbild“. Damit ging auch in den norddeutschen Städten mit Errichtung des steinernen Riesen ein Stück Mittelalter zu Ende. bz
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