: Auf den Spuren des Rinderwahns
■ Fieberhafte Suche nach den Erregern der Krankheit in Niedersachsen
Waren die am sogenannten Rinderwahnsinn erkrankten Tiere bereits infiziert, als sie aus Großbritannien importiert wurden, oder haben sie sich in Deutschland angesteckt? Um diese Frage kreist die fieberhafte Suche des Landwirtschaftsministeriums Niedersachsen nach dem Ursprung der deutschen Fälle von BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie). Im Mittelpunkt steht dabei der Bauernhof von Horst Freise nördlich von Hannover.
Zum Bestand des Züchters gehörten zeitweise alle drei Rinder, bei denen in Deutschland die tödliche Hirnkrankheit nachgewiesen wurde. Hinter den Aktivitäten steht die Furcht, BSE könne auch auf Menschen übertragen werden, was bislang aber nicht bewiesen ist. Die Tiere können sich laut Experten in Deutschland nur angesteckt haben, wenn sie Futter mit verseuchtem Tiermehl bekommen haben.
Nach Angaben von Horst-Hermann Freise, Sohn des Züchters und Leiter des Betriebes, ist harmloses Kraftfutter an Kälber verfüttert worden. Es soll von der Raiffeisen Hauptgenossenschaft (RHG) bezogen worden sein. Ein Sprecher der Genossenschaft betont dagegen, an Freise sei kein RHG-Rinderfutter verkauft worden. Freise habe Rinderfutter der Hamburger Firma „Club“ über ein Landhandelsgeschäft bezogen, das zuerst einer Privatperson gehörte und später von der Volksbank übernommen wurde. Das Geschäft sei seit Juli 1993 im Besitz der RHG. „Club“ sei eine seriöse Adresse.
Hinter vorgehaltener Hand sagen Züchter, es sei schon sehr merkwürdig, daß alle drei deutschen BSE-Fälle bei Freise auf der Wiese standen. Der ehemalige Automatenaufsteller ist den Behörden kein Unbekannter. Wegen Verstoßes gegen den Naturschutz mußte er beispielsweise seine zeitweise rund 500 Stück Vieh zählende Herde verkleinern. Er hatte zuviele Tiere auf seinen Weiden gehalten. „Da war kein Gras mehr zu sehen“, erzählt ein Eingeweihter.
In Schleswig-Holstein ist unterdessen ein schlimmer Verdacht aufgetaucht. In Züchterkreisen gebe es hartnäckige Gerüchte über 6 000 Tonnen britischen Tierfutters, die 1990 importiert worden sein sollen und über deren Verbleib niemand etwas wisse, sagt der Chef des Verbandes schleswig-holsteinischer Fleischrinderzüchter, Götz von Donner. Dabei ist der Import von Tiermehl aus dem Inselreich seit 1989 verboten. Tiermehl wurde häufig Tierfutter beigemischt.
Der BSE-Fachmann im Landwirtschaftsministerium in Hannover, Götz Anhalt, warnt vor einer Vorverurteilung Freises. Daß alle drei BSE-Rinder mal Freise gehörten, sei nicht so unerklärlich. Schließlich werde mit den zotteligen „Galloways“, „Black-Welshs“ und „Highlanders“ ein reger Handel betrieben. Viele Tiere gingen durch mehrere Hände. Das Gerücht aus Schleswig-Holstein hält Anhalt für unglaubwürdig. „Die Prüfung unserer Einfuhrregister für Tierfutter hat nichts ergeben“, sagt er. Außerdem, wenn tonnenweise Tierfutter eingeschmuggelt worden sei, wieso infizierten sich dann nur britische Rinderrassen, obwohl sie nur einen Bruchteil der Rinder in Deutschland ausmachen? Anhalt tippt darauf, daß die Rinder bereits krank nach Deutschland gekommen sind.
BSE wird Öffentlichkeit und Behörden voraussichtlich noch länger beschäftigen. In Großbritannien, dem Herd der Seuche, werden jede Woche 650 „verrückte Kühe“ getötet und verbrannt. „Ich rechne mit wenigen weiteren deutschen BSE-Fällen“, prophezeit der Forschungsleiter der Tübinger Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere, Martin Groschup. Hans-Edzard Busemann, dpa
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