: Auf Schleichfahrt
Der Skandal um öffentlich-rechtliche Schleichwerbung schlägt auf die Stimmung der ARD-Großfürsten
Es ist ein bisschen wie auf der „Titanic“: Die Lichter sind noch an, die Kapelle spielt. Und die Stimmung der ARD-Granden gerät wegen des Schleichwerbungsskandals bei der mehrheitlich ARD-eigenen TV-Produktionstochter Bavaria mehr und mehr in bedrohliche Schieflage.
„Der NDR gehört zwar nicht zu den Gesellschaftern, aber betroffen sind wir alle“, gab sich NDR-Intendant Jobst Plog bei der Jahrestagung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche zugeknöpft. WDR-Rundfunkratschef Reinhard Grätz nannte die jetzt bekannten Fälle „nur die Spitze des Eisbergs“. Das ist bemerkenswert selbstkritisch, schließlich ist der WDR ist mit gut einem der Drittel der Anteile größter Einzelgesellschafter der Bavaria und Grätz seit 1995 auch Vorsitzender des Bavaria-Aufsichtsrats.
Der Fachdienst epd-medien hatte enthüllt, dass in der ARD-Soap „Marienhof“ eine Product-Placement-Agentur über Jahre hinweg systematisch Einfluss auf die Drehbücher genommen und Produkte und Themen zu Werbezwecken untergebracht hatte (taz vom 2. und 3. 6.).
Die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so wichtige interne Aufsicht und Selbstkontrolle, so viel ist jetzt schon klar, hat komplett versagt. „Niemand kann dem Aufsichtsrat zumuten, dass er sich dauerhaft ‚Marienhof‘ und ‚In aller Freundschaft‘ ansieht“, sagte Grätz. „In Zukunft“ werde „eine Sicherung“ da sein – doch wie die genau aussieht, sagte Grätz nicht.
Die Suche nach den Verantwortlichen zieht derweil weiter ihre Kreise: ARD-Programmdirektor Günter Struve habe auf jeden Fall „eine Teilverantwortung“, so Grätz, sei aber natürlich auch „nicht für die Abnahme von Filmen verantwortlich“. Dass macht, zumindest im Fall von „Marienhof“, wiederum der Bayerische Rundfunk. Dort herrscht, seitdem die Bombe am vergangenen Mittwoch platzte, beredtes Schweigen.
Im Zentrum der Kritik steht auch Bavaria-Geschäftsführer Thilo Klein. Eben gab es für den von ihm persönlich produzierten Berloer-Dreiteiler „Speer und Er“ noch allenthalben Ruhm und Ehre.
Jetzt sagte Grätz: „Meine persönliche Enttäuschung trage ich nicht in jeden Saal.“ Für personelle Konsequenzen sei es aber noch zu früh: „Wir können nicht einfach den Geschäftsführer erschlagen.“
Im „niedrigen sechstelligen Bereich“ soll die Bavaria laut Grätz an der Schleichwerbung verdient haben, und: „Private Deals sind nicht auszuschließen.“
Für die ARD kommt der GAU zur Unzeit: Die EU-Kommission prüft gerade generell die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen – vor allem wegen der Aktivitäten ihrer privaten Produktionstöchter. STEFFEN GRIMBERG