: Auf Schatzsuche in der Crossover-Gruft
■ Ein Platz für Ältere „so um 22“: In der neuen Bremer Disco-Kneipe „Tower“ verbinden sich Tieftöner-Gewummer und Grottendesign auf einleuchtende Weise
Manchmal beschleicht einen das Gefühl, daß in Bremen nur deshalb ständig Discos eröffnet, wiedereröffnet, renoviert, restauriert und reformiert werden, damit Stadtmagazin-Fotografen ihre Hefte vollknipsen können. Disco-Betreiber haben allein davon natürlich weniger als besagte Fotografen und müssen sich schon etwas einfallen lassen, um die Tanzwilligen aus ihren tra- diierten Ausgeh-Gewohnheiten herauszureissen. „Hast du etwa schonmal so einen Laden gesehen?“ fragt „Tower“-Besitzer Harry denn auch selbstsicher. Der „Tower“ ist der neue Disco/Kneipen-Hybride, der jetzt im Herdentorsteinweg seine Pforten öffnete. So einen Laden aber hat man durchaus schonmal gesehen, zum Beispiel in Ritterfilmen.
Ehemals befand sich im „Tower“ der „Stilbruch“, eine jener „originellen Kneipen“, die sich „originelle Kneipe“ in die Werbung schreiben müssen, damit die Besucherinnen sich angemessen originell fühlen. Aus dem „Stilbruch“ stammen noch Teile der mittelalterlichen Ziegel, die den Look des „Tower“ bestimmen, schön gegen den Trend der allseits verspiegelten Techno-Läden. Zusammen mit fratzenhaften Wandornamenten, Fackelhaltern, Gitterstäben und verwinkelten Ecken ergibt sich ein Ambiente, in dem man jederzeit erwartet, einen Drachen töten oder eine Schatztruhe finden zu müssen.
Tafelrunden-Flair macht natürlich noch kein Etablissement, das über die Eröffnung hinaus erfolgreich sein will. Am Wochenende werden daher die erfahrenen DJs Christine Lang und Tom Dreyer Tanznächte veranstalten, an den anderen Tagen läuft normaler Kneipenbetrieb. Die DJs wollen weg vom gängigen Spartenprogramm. Denn wer den ganzen Abend lang eine bestimmte Musikrichtung hören möchte, hat zumeist schon einen Stammclub. Als Christine Lang zur inoffiziellen Eröffnungsprobe auflegte, frönte sie zunächst ihrer Vorliebe für schwarze Musik, mit der sie seit langem im Modernes gut fährt, erfüllte aber auch allzu gerne Wünsche nach deutschem Pop, z.B. „Die Sterne“ und den ewig jungen Altstar Andreas Dorau; die Alternative-Rock-Fraktion wurde gleichfalls gut bedient mit „Afghan Wings“ oder „Hole“. Liebenswerte Schrullen und skurrile Sounds leistet sie sich trotzdem mal zwischendurch: Manches, was Lang dem Tanzpublikum vor die Füße wirft, klingt nach minutenlangen Samples aus dem Nintendo-Computerspiel-Universum, oder auch nach „James Last und sein Orchester spielt Acid-Jazz-Evergreens“. Mit ihrer unorthodoxen Musikauswahl will sie denn „auch mal Ältere“ ansprechen. Gemeint sind hier Besucher „so um 22“. Die Besitzer lassen ihr und Tom Dreyer, der samstags für die Sparte „Independent-Crossover“ verantwortlich ist, freie Hand, solange es „nicht zu heftig“ wird
Das Premierenpublikum war allerdings sogar noch älter als der geforderte Durchschnitt. Symptomatisch: Mit rockigen Klängen ließen sich die Disco-Senioren am leichtesten auf die Tanzfläche locken. Viele hätten derweil lieber noch etwas heftigere Töne gehört. „Mehr Hardcore“, so forderten es einige Ritterburgsgäste, oder auch: „Dies sollte die Hauptstadt von Punk-Land werden!“ Ein Vorschlag, für den sich das Design des „Tower“ wirklich bestens eignet: „Grufti-Parties“, samt dem Grottensound von „Sisters of Mercy“ und dem Gewaber der Nebelmaschine.
Und so abwegig ist das wirklich nicht. Wenn die „Tower“-Macher weg von der kegelbrüderlichen Erlebnisgastronomie des „Stilbruch“ und hin zu etwas Eigenem jenseits des normalen Disco-Trotts wollen, sollten sie ein offenes Ohr für Experimentierfreudiges haben. Andreas Neuenkirchen
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