: Auf Eis gelegt?
■ betr.: "Sechs Flics und ein verschwundener Pastor", taz vom 20.9.90
betr.: „Sechs Flics und ein verschwundener Pastor“,
taz vom 20.9.90
Wenn man sich die Chronologie der Ereignisse um die polizeiliche Entführung des Pariser Pfarrers Joseph Doucé vor Augen führt, gibt es einige Dinge, die auffällig sind:
Am 15.Juni erhielt Jean-Marc Dufourg, der anscheinend homophobe Polizist, der mit der Observierung des von Doucé geleiteten „Zentrum des Befreienden Christus“ beauftragt war, ein außerordentliches Belobigungsschreiben von seinem obersten Chef, Claude Bardon, dem Leiter der Pariser Geheimpolizei. Drei Tage später begann er mit seinen gewalttätigen Erpressungsversuchen gegen den Zeugen Pierre Didier, um ihn als Spitzel im Homosexuellenmilieu zu gewinnen. Unklar ist bislang, mit was sich Dufourg genau seine Meriten verdient hat?
Am 3.August fuhr die mit dem Fall Doucé befaßte Richterin Cathérine Courcol in Urlaub. Während der Zeit ihrer Abwesenheit, den sogenannten „vacances judiciaires“ (Gerichtsferien), wurde Guy Bondar, dem Freund und engsten Mitarbeiter Joseph Doucés, die Einsicht in die Akten verwehrt. Auch die polizeiliche Aufklärung machte keinerlei Fortschritte. Man gewann den Eindruck, die ganze Angelegenheit sei offiziell „auf Eis gelegt“. In der gleichen Zeit blieb die Gegenseite nicht untätig: Wie die kommunistische Humanité just am gleichen Tag enthüllte, unterbrachen Claude Bardon und sein Stellvertreter ihren Urlaub und kehrten Hals über Kopf nach Paris zurück.
Am 16.August wandte sich Guy Bondar an den Innenminister und verlangte von ihm Hilfe und Aufklärung. Die Antwort von Pierre Joxe ließ auf sich warten. Sie erfolgte erst einen Monat später, nachdem Guy Bondar am 11.September sein Anliegen im französischen Fernsehen vortragen durfte und sich daraufhin der vergeblich erpreßte Spitzel an die Kriminalpolizei wandte.
Während der ganzen Affäre gewinnt man den Eindruck, daß die Behörden nur das zugeben, was sowieso schon bekannt ist und daß sie nur reagieren, wenn sie dazu gezwungen sind. Der Anwalt von Guy Bondar vergleicht den Fall Doucé inzwischen mit der Entführung und Ermordung des polnischen Priesters Popieluszko.
Wo bleiben die Menschenrechte in Westeuropa? Alexander Schwartz, Centre du Christ Libérateur, Paris
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