Auf Bandtour durch Bulgarien: Rocken für die nächste Tankfüllung
Zwischen Wet-T-Shirt, Scorpions-Fans und dem schnellsten Gitarristen Bulgariens: Eine Bluesgrunge-Band aus Lüneburg geht auf Tingeltour durch bulgarische Provinznester.
Auf einem Betonpfeiler neben den Zapfsäulen rostet ein roter Stern vor sich hin. Die Raststätte bei Bjala im zentralen Norden Bulgariens hat schon bessere Zeiten gesehen, als das hier noch die offizielle Verpflegungsstation für Reisebusse aus Rumänien war. Im leeren Speisesaal läuft bulgarisches Musikfernsehen. Eine Blondine mit aufgespritzten Lippen singt irgendetwas über ihr nasses T-Shirt und die polierte Klinke, die sie recht phallisch in der Hand hält, schreitet dabei durch eine Heile-Welt-Kulisse, wie man sie aus Florian Silbereisens Volksmusik-Sendungen kennt. Ihr Song besteht aus einem einfachen Techno-Beat, über den zuckersüße Streicher gelegt sind. In den Hintergrund gemischte Trompeten und Klarinetten steuern mit ihren pentatonischen Arabesken noch eine Portion Balkan-Folklore bei. So richtig gut zusammen passt das alles nicht. "Das nennt sich Popfolk", erklärt mir Stefan, "damit macht die Musikindustrie hier ihr Geld."
Stefan Ivanov kommt von der bulgarischen Schwarzmeerküste und studiert seit sieben Jahren in Deutschland. Jetzt ist er gespannt, wie das bulgarische Publikum auf seine Musik reagieren wird - die nächsten vier Wochen werden wir mit seiner Lüneburger Bluesgrunge-Band Neopit Pilski kreuz und quer durchs Land tingeln, mehrmals im zweiten Gang das Balkangebirge überqueren und morgens meistens nicht wissen, wo wir abends schlafen werden. Von Deutschland aus hat Stefan sieben Gigs organisiert. Alles Weitere soll sich unterwegs ergeben.
Beim unserem ersten Auftritt in der Hauptstadt Sofia kommt unser von Hamburg und Seattle geprägter Sound vor allem bei den Mädchen an. Den Jungs ist die Musik zu soft. Außerdem sind sie offenbar irritiert von Stefans bulgarischen Texten, denn für Rockmusiker gilt hier: Sing Englisch! Das Eight Ball, ein neuer kleiner Punk- und Dark-Wave-Club in der Innenstadt, ist an diesem Abend aber nicht wegen uns, sondern wegen einer anderen Band voll. Im Souterrain unterhalb des kargen Schankraumes wartet ein junges Publikum aus Studenten, Hardcore-Fans und Riot Girls auf KPD-0. Die Toiletten im Keller setzen auf die Selbstreinigungskräfte tropfender Wasserleitungen, der Rest entspricht einem Berliner Kellerclub aus den späten Neunzigern.
Mit ungeraden Takten, psychedelischen Bass-Linien und jeder Menge Krach ist KPD-0 eine der wenigen Bands in Bulgarien, die ihre eigene, progressive Musik entwickelt haben und sich keinem klaren Genre zuordnen lassen. Während es in Sofia, Warna und Plowdiw mit einer relativ großen Hardcore-Punkszene eine sehr lebendige Subkultur gibt, wird der Bedarf an Live-Musik außerhalb der großen Städte durch unzählige, technisch auf hohem Niveau spielende Coverbands gedeckt. In den Touri-Orten an der Küste ist es fast unmöglich, in einem der Nachtclubs einen Auftritt zu bekommen, wenn man nicht für die vergnügungssüchtigen westlichen Billigurlauber einen altbekannten Hit nach dem anderen abfeuert.
Einige Tage später ist uns klar, dass man in den Städten zwar auf Hardcore und Punk steht, dass dafür die Jugend auf dem Land bei Heavy Metal und Hardrock geblieben ist. Die Scorpions haben, den Eindruck bekommen wir, seit der Wende in der bulgarischen Provinz mehr Platten verkauft als in Deutschland. Im Unterschied zur Punkszene wird Hardrock auch häufig von kommunaler Seite unterstützt. Dass dabei oft mehr Wert auf technische Perfektion gelegt wird als auf Ausdruck und Zusammenspiel, erleben wir beim "Pop-Rock-Fest" in Nessebar. Der jährlich im Amphitheater des ehemaligen Fischerdorfes stattfindende, von der Gemeinde finanzierte Wettbewerb ist eine dreitägige Leistungsschau für Nachwuchstalente, die Joe-Satriani-Soli und Hits von Toto nachspielen. Neopit Pilski sind hier völlig fehl am Platz. Bei der auf Virtuosität bedachten Jury können wir nicht punkten und müssen die nächste Tankfüllung wieder selbst bezahlen, dafür scheint unsere Darbietung wenigstens auf einen reichen Türken Eindruck gemacht zu haben. Der stellt sich als schnellster Gitarrist Bulgariens vor und lädt uns ein, eine Woche später in seinem Nachtclub in der hässlichen Provinzstadt Plewen zu spielen.
Als wir nach einer langen Fahrt über Straßen voller Schlaglöcher dort ankommen, wirkt die ehemalige Popfolk-Disco dafür, dass es überhaupt keine jungen Leute in Plewen zu geben scheint, viel zu groß. Aber dann funktioniert die bulgarische Mundpropaganda: Es hat sich herumgesprochen, dass eine merkwürdige Grunge-Band aus Deutschland ganze vier Wochen lang unterwegs ist und dazu noch Bulgarisch singt. Und die alternative Jugend ist gut vernetzt und nimmt für ein Konzert schon mal eine zweistündige Fahrt durchs Gebirge in Kauf. Am Abend finden sich in der Kaschemme in Plewen tatsächlich ein paar Autoladungen interessierter Zuhörer ein.
Nach zwei Wochen finden wir bei Youtube massenhaft Konzertmitschnitte, und unsere Myspace-Seite quillt über mit Kommentaren und Anfragen, so dass unser Terminkalender bald für den Rest der Tourzeit voll ist. Insgesamt werden in den vier Wochen umgerechnet knapp 600 Euro in der Bandkasse landen, das sind ziemlich genau drei durchschnittliche bulgarische Monatslöhne.
Am Ende fahren wir zurück nach Sofia. Ein nerdiger Radiomoderator hat die amerikanischen Funpunks von NOFX in die Stadt geholt und mit drei bulgarischen Bands im Vorprogramm ein ziemliches Spektakel organisiert. In der Fußgängerzone warten vor der Black Box, dem größten von einer Handvoll Liveclubs in der Hauptstadt, ein paar hundert Jugendliche und trinken Dosenbier. Heute sind alle hier, Hardcore-Fans, Skater, Darkwave-Mädels, aber auch die Handvoll Britpopper, die es in Sofia gibt. Die Stimmung erinnert an eine Abi-Feier. Drinnen im halbgefüllten Saal spielen die bulgarischen Vorbands prolligen Crossover und oldschooligen Hardcore-Punk kalifornischer Prägung.
Dann spielen NOFX. Als der Frontmann zwischen zwei Songs skandiert; "Nobody likes us, everybody hates us - Americans! / Nobody knows us, nobody has ever heard of us - Bulgarians!", droht die Stimmung zu kippen. Nach fünfhundert Jahren unter türkischer und fünfzig Jahren unter sowjetischer Herrschaft gibt es bei den sehr geschichtsbewussten, um kulturelle Identität ringenden Bulgaren so etwas wie einen nationalen Minderwertigkeitskomplex, der solche Späße schlecht verträgt. Es hagelt empörte Buh-Rufe. Aber da beginnt schon das nächste Stück, und der Pogo geht weiter.
Als wir auf der Rückfahrt wieder an der Raststätte mit dem roten Stern vorbeikommen, ist die Tür verschlossen, im Fenster hängt ein "Non Stop"-Schild. Wir steigen wieder in unser Tourbüschen. Alle Kassetten sind längst durchgehört, und im Radio läuft Popfolk. Zeit für die Heimreise.
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