■ Auf Augenhöhe: Buttler und sein schönes Marzahn
Die Delegation des Bonner Rotary Clubs hat sich schon einige Male auf den Weg nach Berlin gemacht. Im Mai etwa waren die elitären Mitglieder aus Politik und Wirtschaft zu Gast an der Spree, um die interessante Hauptstadt in Augenschein zu nehmen. Jetzt waren die Rotary-Clubler erneut vor Ort. Aber nicht das Zentrum hatte es ihnen angetan. Dieses Mal wollten sie sich den Plattenbezirk Marzahn an der östlichen Peripherie anschauen. Marzahn feiert im kommenden Jahr 20. Geburtstag, und quasi als Geschenk aktivierten die Mitglieder ihr soziales Bewußtsein, um dort ein Jugendprojekt finanziell zu unterstützen. Die Vorstellung von tristen Plattenbauten ohne Grünanlagen hatte beim Rotary Club das Helfersyndrom ausgelöst.
In der Tat hat Marzahn ein Problem: Graue Hochhäuser im Plattenbaustil ragen dort en masse in die Höhe. Drumherum ist zwar viel Platz, aber die Grünflächen sind wenig nutzbar. Und außer dem Rotary Club kommt kaum jemand zu Besuch. In der Satellitenstadt wurden seit der Wende zwar 50 Prozent der 60.000 Wohnungen – die Siedlung bildet Europas größtes Plattenbaugewitter – aufwendig saniert und die Innenhöfe für 250 Millionen Mark gestaltet wurden. Aber „Stadt“ zum Wohlfühlen, besonders für Jugendliche, entstand dabei nicht – siehe Rotary Club.
Dehalb rührt seit einem Jahr Bürgermeister Harald Buttler (PDS) in Zusammenarbeit mit der dort ansässigen Wirtschaft fleißig die Werbetrommel – für den Geburtstagsbezirk. „Marzahn – Mehr als man denkt“, nennt sich die großangelegte Kampagne samt Aufkleber mit geschwungenem „M“, die den Bezirk von seinem lästigen Beigeschmack befreien soll. In Berlin wurden beispielsweise Plakate geklebt, die unter anderem einen jungen Mann mit Tätowierung zeigen, der ein Baby im Arm hält. „Made in Marzahn“ steht drüber.
Was das Kinderkriegen angeht, ist Marzahn spitze. Mehr als 44.000 Kinder und Jugendliche wachsen dort auf. Etwa sieben Prozent der Marzahner haben bei den Bundestagswahlen rechtsextremen Parteien ihre Stimme gegeben – auch Spitze in Berlin. Eine Kampagne gegen rechts gibt es nicht, dafür aber seit der Wende 6.000 neue Arbeitsplätze. Mit wirtschaftlichen Erfolgen will Buttler Rechtsradikalismus in den Griff bekommen. Das ist aber nicht sein einziges Problem.
Selbst seine Marzahner muß er davon überzeugen, wie schön der Bezirk eigentlich ist. Seit dem Fall der Mauer haben etwa 25.000 Bewohner die Flucht aus der Platte ergriffen. Zu DDR-Zeiten waren die Wohnungen noch begehrt. Warmes Wasser kam direkt aus der Leitung, und statt Kohleöfen sorgten Zentralheizungen für kuschelige Wärme im Winter. Mittlerweile ist das Standard. Jetzt wünschen sich viele Marzahner das Eigenheim mit Garten im Berliner Umland. Neue Mieter für die „Platte“ sind nur schwer zu finden, obwohl die Wohnungsbaugesellschaften angestrengt in U- und S-Bahnen werben.
Buttler hat noch viel zu tun, bevor er Touristenmassen durch die Bummelmeile Marzahner Promenade führen kann. Geschafft hat er dies, wenn der Rotary Club bei seiner Good-Will-Tour einen Bogen um Marzahn macht. Mike Szymanski
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