■ Auf Augenhöhe: Politisch korrekte Schnäppchen
Der kleine Laden ist nicht viel breiter als seine Eingangstür. In der Wohnung würde so ein Raum höchstens als Flur taugen. „Second Bäck“ aber ist die Berliner Kampfzentrale gegen den Überfluß. Seit Anfang Oktober verkauft das Minigeschäft in der Raumer Straße Brot, Brötchen und Kuchen vom Vortag. Die Sachen werden von anderen Bäckereien abgeholt. Alles kostet den halben Preis. Die Prenzlauer-Berg-Adresse hat sich zufällig ergeben, die günstige Miete war entscheidend.
Initiator Christian Roth kommt aus Neukölln, das heißt eigentlich stammt er – wie schön für unsere Vorurteile – aus dem Schwabenland. Die Idee hat er bei einem Freund in Tübingen abgeguckt. Jetzt will er die Hauptstadt damit glücklich machen. Vier Millionen Leute, das muß doch klappen, hat er sich gesagt. Genaugenommen sind es nicht mal 3,5 Millionen, aber die dürften trotzdem reichen.
Der Secondhand-Bäcker muß sich weder mit Ofenhitze noch Mehlstaub rumschlagen. Der Mann trägt einen schwarzen Rollkragenpullover, Ohrringe, Koteletten. Er sei nur Verkäufer, dafür aber ein begnadeter, sagt er. Vorher hat er „in Schmuck gemacht“ und „rumgejobbt“, jetzt wollte er mal ein eigenes Geschäft eröffnen.
Seit das Gesundheitsamt da war, soll er eine Schürze umbinden, ansonsten ist alles so geworden, wie er es sich dachte: Wände in trendgerechtem orange, eine kleine Fotoausstellung hat auch Platz und aus den Lautsprechern dudelt Jazzmusik. Jazzradio läuft, wenn Christian Roth Dienst hat. Sein Kompagnon Mario di Domenico hört viel, viel lieber 104,6.
Dieses Musik-Joint-venture ist genau passend für die Gegend. Die Kundschaft besteht nicht nur aus dem ortsüblichen Szenepublikum, das sich abends im „Eckstein“, „Frida Kahlo“, „Houdini“ oder „Osswald“ vergnügt. Auf dem Bürgersteig gegenüber trifft sich die Bierdosen-Fraktion, ein paar Meter weiter auf dem Helmholtzplatz betrinken sich die Obdachlosen.
„Second Bäck“ führt das Viertel wieder zusammen, der winzige Laden ist zivilisationskritischer Ort und Schnäppchenbude gleichermaßen. Die einen kommen aus der Überzeugung, daß es nicht noch mehr Verschwendung geben soll, die anderen freuen sich aus purer Geldnot über die Sonderangebote. Es gibt die hilflose Oma, die zum Bezahlen einfach ihr Portemonnaie über den Tresen schiebt, und es gibt auch den unterbeschäftigten Jongleur, der seine Werbung am Eingang aushängt. Die Koexistenz der verschiedenen Milieus reicht bis in die Vitrine. Bagels und Donuts liegen neben Streuselkuchen und Zuckerschnecken. Nur die Brötchen, die haben es schwer. Die wollen die Leute eben doch frisch. Tja. Aber alles andere verkauft sich prima, versichern die fröhlichen Altbackwaren-Händler. Und wer noch zögert und hadert, wird umgehend mit reichlich Argumenten versorgt. Vollkornbrot hat erst nach drei Tagen das richtige Aroma! Ofenwarme Sachen terrorisieren unnötig den Magen! Schnellverderbliche Sorten mit Sahne und Pudding werden erst gar nicht angeboten! Wenn's nicht ganz so lecker riecht, wird man vom Heißhunger verschont! Und der Zoo, die Mastfarmer und die Berliner Tafel der Bedürftigen, an die bisher die Reste der Bäcker gingen, bekommen immer noch genug! Tonnenweise!
Ach ja, diese verdammte Überproduktion. Mal sehen, ob Second- Bäck die Menschheit rettet. Manuela Thieme
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