■ Auf Augenhöhe: Die Überflieger
In Berlin wird gut und gerne gefeiert. Bei jeder Eröffnung eines der neuen Einkaufszentren fliegen Tausende von bunten Luftballons in die Wolken, und an Silvester drehten sogar zwei Passagierjets am Himmel über dem Brandenburger Tor ihre Kreise – in einer „liegenden Acht“, wie es der Leiter der Flugsicherheit fachmännisch ausdrückte. In Berlin, der Stadt Otto Lilienthals, kennt man sich nämlich aus mit der Fliegerei. Oder besser: kannte.
Als vor einem Jahr wieder einmal gefeiert wurde, diesmal der fünfzigste Jahrestag der Berlin- Blockade und der Luftbrücke, muß es Michael-Andreas Butz bereits geahnt haben. Als Vertreter der Rosinenbombergeneration weiß der Sprecher des Regierenden Bürgermeisters schließlich am besten, welche Ängste die Mißachtung Berlins durch den großen Bruder USA auslösen können. Immerhin sind noch heute längst nicht alle „Senatsreserven“ aus Westberliner Mauerzeiten aufgelöst. Und dann das: Delta-Airlines stellte pünktlich zum Luftbrückenjubiläum und 102 Jahre nach dem Absturz von Otto Lilienthal (nach dem übrigens der Flughafen Tegel benannt ist) den letzten Direktflug von Berlin nach New York ein.
Seitdem tourt Butz wie wild um den Globus, um Fluggesellschaften wie United Airlines oder American Airlines an die alten Zeiten transatlantischer Freundschaft zu erinnern.
Umsonst. Auch Freundschaft, das mußte Butz erkennen, bekommt man nicht umsonst. Genausowenig wie die Airlines bereit sind, den Berliner Fluggästen Freundschaftspreise zu gewähren. Ohne genügend Geschäftsreisende aber, so lautet die neue Blockaderechnung, gibt es keine Flugverbindung. Wer von der deutschen Hauptstadt übern Teich will, muß also immer noch im Flughafen Tempelhof in eine Turboprop-Maschine steigen und in Paris, London, Zürich oder Brüssel umsteigen.
Sei's drum. Der Flughafen Tempelhof ist mir ohnehin lieber als Tegel oder Schönefeld. Und an den Bau eines Großflughafens Berlin-Brandenburg International glaube ich schon lange nicht mehr. Seitdem Berlin vom Rest der Welt nonstop abgeschlossen ist, habe ich viele interessante Umsteigestädte kennengelernt.
Und wenn ich in zwei Wochen nach Tel Aviv fliege, mache ich ein paar Tage in Budapest Stop. Wenn schon die Welt nicht nach Berlin kommt, kommen die Berliner wenigstens in die Welt.
Und dann, das sei Herrn Butz zum Trost gesagt, gibt es ja auch noch die letzten drei Nonstop- Flüge: in die Weltmetropolen Ulan-Bator, Pjöngjang und Havanna. Uwe Rada
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