: Auch für Gänse gilt die Grenze
Die Wildgänse am Niederrhein merken schnell, auf welcher Seite der grünen Grenze sie gelandet sind: In den Niederlanden werden sie von den Landwirten vertrieben. In der Bundesrepublik stehen die Zugvögel unter strengem Schutz
AUS KLEVETJITSKE YPMA*
Geflatter und Geschnatter im Land bei Kranenburg. Einige Blässgänse fliegen auf. Eigentlich sollen sie das nicht. Es kostet die Zugvögel zu viel Energie. Michael Schmolz vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) bleibt stehen und greift nach seinem Fernglas: „Wir sollten die schönen Vögel in Ruhe lassen“, sagt Schmolz. Im Winter zählt er für den NABU die Gänse im Rheinauenland. In der Bundesrepublik stehen die scheuen Tiere unter strengstem Schutz. Touristen werden nur in einem Bus durch das Vogelschutzgebiet kutschiert. Auch die Vogelkundler bleiben auf Sicherheitsabstand: Sie beobachten die Besucher nur durchs Fernglas.
Am Niederrhein, im Grenzland zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland überwintern jedes Jahr hunderttausende arktische Wildgänse. In den Niederlanden dürfen die Grau- und Blässgänse vertrieben werden. Nur 80.000 Hektar wurden als Schutzgebiet für die Vögel ausgewiesen. Reicht diese Fläche nicht aus, fliehen die Tiere weiter nach Deutschland – in die Sicherheit. Hier dürfen die Gänse weder vertrieben noch geschossen werden. Die Folge: Immer mehr Wildgänse drängen über die grüne Grenze.
Das Problem der russischen Wintergäste: Die Gänse kosten die Landwirtschaft viel Geld. Sie fressen Gras, zertreten das Ackerland. Und deshalb wird den ansässigen Bauern ein Schadenersatz gewährt. Allein Nordrhein-Westfalen zahlt pro Jahr etwa 1,5 Millionen Euro Entschädigungen für das, was die etwa 150.000 bis 200.000 Gänse anrichten.
Eigentlich sind die Niederlande das beliebtere Winterquartiere der Federtiere. Das Land ist feuchter, hat mehr Gewässer, durchschnittlich überwintern hier jedes Jahr anderthalb Millionen Vögel. Doch das könnte sich ändern.
Seit 2003 verfolgt das Landwirtschaftsministerium eine andere Gänsepolitik. Seither dienen in den Niederlanden 80.000 Hektar den Vögeln als Schutzgebiete – laut Regierung genug Futterland für die fremden Vögel. Außerhalb dieser Reservate, den so genannten „Foerageergebieden“, erhalten die Landwirte keine Kompensationen. Sie müssen die Tiere selbst vertreiben. Gelingt ihnen das nicht, können sie Jäger damit beauftragen. Damit versuchen die Niederlande, die Entschädigungszahlungen auf sieben Millionen Euro im Jahr zu begrenzen.
Doch nicht alle sind mit dieser Regelung einverstanden: Für Barend van Gemeren vom niederländischen Vogelschutzbund sind die „Foerageergebieden“ zu klein geraten: „Die Gänse werden von den Niederländern über den Zaun geworfen – wir sollten stolz sein auf unsere wichtige Rolle als Wintergastland, statt die Vögel ins Ausland zu treiben.“ Immerhin habe der niederländische Vogelschutzbund noch Schlimmeres verhüten können: „Eine Mehrheit im Parlament war für die Jagd“, so van Gemeren. Mit Hilfe einer EU-Regel sei es gelungen, den Landwirtschaftsminister Cees Veerman von einer weniger gewalttätigen Lösung zu überzeugen.
Auch auf der bundesdeutschen Seite befürchten Naturfreunde härtere Zeiten für die Wildgänse. Angesichts leerer Staatskassen könnten die Entschädigungen in Frage gestellt werden. Auch darum registrieren Schmolz und seine Kollegen schon einmal die Bestände der Wildgänse auf Karten. Im Gänseland könnten künftig dann Pauschalen pro Hektar bezahlt werden, ohne viel Bürokratie. Die Landwirtschaftskammer wird so entlastet. „So bleibt mehr Geld übrig für den Schadensersatz“, sagt Schmolz. Eine Vertreibung der Tiere mache keinen Sinn: „Wenn Gänse viel fliehen, brauchen sie mehr zu essen. Der Schaden würde dann nur größer.“
Tjitske Ypma (27) ist Redakteurin beim Dagblatt van het Noorden in Groningen. Im Rahmen des deutsch-niederländischen Austauschprogramm für Journalisten „IJP“ arbeitet sie zwei Monate für die taz nrw in Bochum