Atompolitik wieder Thema: Renaissance des Anti-Atom-Protests
Die Bewegung war gespalten über den Atomkonsens von Rot-Grün. "Da gab es viel böses Blut", heißt es. Jetzt ist sie wieder aus ihrem "Halbschlaf" erwacht - und hofft auf Erfolge.
Die Pannenserie im Atomkraftwerk Krümmel, die Aussicht auf eine mögliche schwarz-gelbe Regierung nach der Bundestagswahl, eine Großdemonstration Anfang September - Deutschland diskutiert wieder über die Atomkraft. Und die Anti-AKW-Bewegung erwacht. (Die taz-Grafik zeigt nur einen kleinen Ausschnitt der vielen Initiativen. Wir haben dabei auf regionale Verteilung und Vielfalt geachtet.)
"Die Rückmeldungen zu unseren Aktionen sind sehr, sehr positiv", sagt Jan Becker von Contratom. Die größte Demo seit den 90er Jahren habe die Hamburger Initiative am 26. April erlebt, als sie zum Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe vor 23 Jahren demonstrierte. Nach Contratom-Angaben haben sich 1.500 Menschen an der Kundgebung beteiligt. Nicht nur, dass die AKW-Gegner wieder größeren Zulauf erhielten von Leuten, die sich länger nicht mehr engagiert hätten. Es kämen auch neue Aktivisten hinzu, sagt Jochen Stay von der Initiative Ausgestrahlt. Es gebe jetzt eine "spannende Mischung" aus jungen Menschen und "der Generation Brokdorf".
Die Serie: Sieben Atomkraftwerke müssten laut Atomkonsens in der nächsten Legislaturperiode abgeschaltet werden. Die taz nennt in einer Serie über diese ältesten noch laufenden AKW sieben Argumente dafür, warum das passieren muss. Start: Dienstag, im Ressort Wirtschaft + Umwelt.
Die Demo: Für den 5. September rufen die Anti-Atom-Initiativen zu einer großen Demonstration unter dem Motto "Mal richtig abschalten!" nach Berlin.
Der Service: Mehr über und von Initiativen nicht nur von Atomkraftgegnern finden Sie auf www.bewegung@taz.de
Nach dem von Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg habe sich die Anti-AKW-Bewegung in zwei Lager gespalten: den einen ging der Atomkonsens nicht weit genug; die anderen begrüßten, dass immerhin etwas beschlossen worden sei. "Da gab es viel böses Blut", sagt Stay. Jetzt werde der Protest wieder zusammen organisiert.
"Seit dem beschlossenen Ausstieg war Ruhe an der Atomfront - mit Ausnahme der Castor-Transporte", sagt Dieter Rucht, Bewegungsforscher von der FU Berlin. Schon beim Castor-Transport Ende vergangenen Jahres habe es Zeichen der Wiederbelebung gegeben. "Jetzt kommt noch die Bundestagswahl hinzu." Das Dilemma der Regierungsparteien, CDU und SPD, im Wahlkampf sei der Spagat zwischen dem Treueschwur für die Koalitionszusammenarbeit und der Notwendigkeit, das eigene Profil zu zeigen. "Dadurch gewinnen die Sekundärthemen an Bedeutung. In Primärthemen wie der wirtschaftlichen Sicherheit unterscheiden sich die Parteien nicht so sehr", sagt Rucht. Vor allem die Sozialdemokraten nutzten nun das Thema Atomkraft zur Abgrenzung von Schwarz-Gelb. "Die Anti-AKW-Bewegung befand sich im Halbschlaf. Jetzt springt sie auf diesen Zug auf. Sie kann sich dadurch wieder profilieren und politische Unterstützung finden."
Im Moment konzentrieren sich die AKW-Gegner auf die Demonstration am 5. September in Berlin. Soziologe Rucht erwartet nicht die ganz große Demo. "Im Moment fehlt noch der heiße Anlass. Der Drang ist noch nicht groß genug, um in Massen auf die Straße zu gehen. Es wird erst zu heißen Diskussionen kommen, wenn es in der Politik ernst wird", sagt Rucht.
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