Atomkraft: Mehr Checks, weniger Laufzeit
Umweltminister Gabriel bekräftigt: Ältere Atomkraftwerke sollen früher abgeschaltet werden, die Meiler häufiger überprüft. Die Union wittert einen "Feldzug gegen die Kernkraft".
![](https://taz.de/picture/420671/14/gabriel.jpg)
Nur wenige Meter vom Bundestag entfernt hat die SPD ein großes Werbeplakat aufhängen lassen: Zu sehen ist ein schwarzer Atomreaktor unter bewölktem Himmel. Darunter der Slogan "Unsicherheit abschalten - Alte Reaktoren vom Netz". Doch während die SPD draußen mit Plakaten die Öffentlichkeit sucht, berät sie drinnen hinter verschlossenen Türen: Der Umweltausschuss des Bundestages, der gestern in einer Sondersitzung über die Störfälle in den AKWs Krümmel, Brunsbüttel und Unterweser beriet, fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Als "kleinen Skandal" empfanden das manche Umweltpolitiker der Opposition. "Vattenfall scheint in Sachen Transparenz mehr gelernt zu haben als die Koalition", befand gar FDP-Umweltpolitiker Michael Kauch. "Außer der Union waren alle für Öffentlichkeit", sagte SPD-Ausschussmitglied Frank Schwabe. Die SPD habe sich jedoch der Koalitionsdisziplin fügen müssen.
Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der für die Sondersitzung seinen Frankreichurlaub für einige Stunden unterbrach, forderte die AKW-Betreiber im Anschluss an die Sitzung auf, ein "modernes Sicherheitsmanagement" einzuführen. "Ein solches System muss spätestens in einem Jahr im Betrieb realisiert sein", sagte Gabriel.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat den Antrag des Stromkonzerns Vattenfall endgültig abgelehnt, Strommengen des stillgelegten Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich auf das 30 Jahre alte AKW Brunsbüttel zu übertragen. Gabriel beruft sich auf den mit der Branche vereinbarten Ausstieg aus der Atomenergie. Vattenfall wollte die Laufzeit von Brunsbüttel um zweieinhalb Jahre bis Ende 2011 verlängern. Dem Atomkonsens zufolge dürfen Strommengen von Mülheim-Kärlich nur auf bestimmte, im Gesetz aufgeführte Anlagen übertragen werden. Brunsbüttel gehört nicht dazu. Die für die Atomaufsicht in Schleswig-Holstein zuständige Sozialministerin Gitta Trauernicht begrüßte die Entscheidung. Sie erwartet, dass Gabriel auch den zweiten Antrag von Vattenfall ablehnt. Dieser sieht eine Übertragung von Strommengen von dem jüngeren AKW Krümmel auf das ältere Brunsbüttel vor. dpa, rtr
Er kündigte zudem eine Verschärfung der "Periodischen Sicherheitsüberprüfung" der Atomkraftwerke an. Bislang ziehen sich diese Prüfungen über Jahre hin. Im Fall Brunsbüttels sind auch 6 Jahre nach dem letzten großen Sicherheitscheck immer noch 55 Punkte offen. In Zukunft will Gabriel den Betreibern eine Frist zur Abarbeitung der offenen Punkte setzen.
Gabriel bekräftigte zudem seine Absicht, ältere Reaktoren früher vom Netz zu nehmen und zum Ausgleich neue Meiler länger laufen zu lassen. Mit "ein bisschen gutem Willen" in der Union müsse das möglich sein, so Gabriel.
In der Unions-Bundestagsfraktion stößt Gabriels Vorschlag jedoch auf wenig Gegenliebe - Fraktionsvize Katherina Reiche forderte gestern das glatte Gegenteil: Die Übertragung von Laufzeiten von jüngeren auf ältere Kraftwerke sei im Atomgesetz vorgesehen. "Von dieser Möglichkeit sollte Gebrauch gemacht werden", so Reiche. Schließlich seien ältere Kraftwerke nicht von vornherein unsicherer als jüngere. SPD-Politiker Schwabe vermutet, dass "Union und Energiekonzerne auf einen Regierungswechsel 2009 setzen und mit ihrer Haltung die alten Reaktoren über die Zeit retten wollen". Die gestrige Sondersitzung zu den Störfällen empfand Reiche als Teil eines "Feldzugs gegen die Kernkraft" und nannte sie "übertrieben und nicht gerechtfertigt".
Der Abgeordnete der Linksfraktion, Hans-Kurt Hill, dessen Fraktion die Sondersitzung gemeinsam mit den Grünen beantragt hatte, nannte die parlamentarische Aufarbeitung dagegen "absolut notwendig". Es seien neue Erkenntnisse über die Abläufe in den Pannenreaktoren ans Licht gekommen: "Es sieht so aus, als ob Schnellabschaltungen das Risiko erhöhen", sagte Hill nach der Sitzung. Die Folge: Risse in den Rohren, brennende Schalttafeln und fehlerhafte Ventile wie in Brunsbüttel; unerwartet hoher Druck im Reaktor und überfordertes Personal wie in Krümmel. Er kritisierte die Aufsichtsbehörden, die immer noch nicht in der Lage seien, die offenen Fragen zu klären". "Vorher darf es kein erneutes Hochfahren der Reaktoren geben", so Hill.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!