Gastkommentar: Atomfilz
■ Ausstieg durch Selbstmord auf Raten?
In den letzten Jahren haben sich auf der politischen Bühne Straftatbestände wie Bestechlichkeit, Vorteilsnahme, Schmiergeldzahlungen, Veruntreuung sowie Mord und Selbstmord eingebürgert. Was einstmals nur in „Bananenrepubliken“ oder im Einflußbereich der Mafia als schicklich galt, ist inzwischen auch im Atomstaat Bundesrepublik gang und gäbe. Als Robert Jungk 1977 in seinem Buch „Der Atom– Staat“ von neuen Methoden der Überprüfung und Überwachung und vor der neuen Tyrannei als unvermeidliche Begleiterscheinung der Atomtechnik warnte, dachte er nicht an die derzeitigen Aufgaben von Staatsanwaltschaft, Gerichten oder Medien in Sachen Nuklearzentrum Hanau. Etwa zeitgleich hatte der inzwischen verstorbene Gewerkschafter Heinz Brandt auf die „wiederliche Verfilzung“ von Atom–Lobby und Gewerkschaftsbürokraten hingewiesen. Die brisante Verknüpfung von Atom und Filz wurde als „Atomfilz“ zur stehenden Redewendung für die finanzielle Verflechtung von Wissenschaft, Beamtenschaft, Gewerkschaft, Industrie und Politik. Der Atomfilz sorgte dafür, daß nukleare Projekte lautlos über die Bühne gingen. Der Anti–Atombewegung ist es zu verdanken, daß die organisatorische und finanzielle Verfilzung von Reaktorbauern und -betreibern von Gutachtern und Aufsichtsbeamten, von Atomindustrie und Forschungsbürokratie nicht länger geheim ist. Wenn die Atomindustrie nur noch mit Korruption und Bestechung die fehlende Sicherheit der Atomtechnik und die nicht vorhandenen Möglichkeiten zur „Entsorgung“ vertuschen kann, dann sollte sie in ihrem eigenen Interesse sofort und nicht durch Selbstmord auf Raten aus der Atomenergie aussteigen. Lutz Mez, AG Atomindustrie, Berlin
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